Bibel und Homosexualität

Thomas Friedhoff

 Die Bibel, Lesben und Schwule

Aber (die Bibel) ...?

„Na gut", meldet sich da eine fragende Stimme. „Das wurde ja nun oft genug wiederholt (dass uns Gottes Liebe vorbehaltlos gilt). Aber was ist mit meiner Homosexualität? Dazu steht doch einiges in der Bibel, und das auch ziemlich klar und eindeutig. Nun soll ich mich auf die Bibel beziehen, um mir zu vergegenwärtigen, dass ich angenommen bin, und dann stoße ich da dauernd auf die Aussagen, dass meine Homosexualität verwerflich ist. Dass es 'ein Gräuel' ist, bei 'einem Mann zu liegen, wie bei einer Frau' (3.Mose 18,22) Dass das mit dem Tode bestraft werden soll (3.Mose 20,13) Und im Neuen Testament klingt das ja auch nicht viel freundlicher: 'Weil sie so die Wahrheit Gottes gegen eine Lüge eintauschten, lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus. Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr mit dem widernatürlichen, und ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit Frauen auf und entbrannten in Leidenschaft zueinander. Männer entehrten sich durch den Umgang mit Männern.' (Römer 1,25-27) Oder: 'Macht euch nichts vor! Menschen, ...die mit Partnern aus dem eigenen Geschlecht verkehren..., werden nicht in Gottes neue Welt kommen.' (1.Kor. 6,9+10) Wie, bitte, soll ich aus einem Buch die Zusage der Liebe Gottes heraushören, das mich mit Todesstrafe und Hölle bedroht?"

 

Diese Frage lässt sich nicht mit einem Satz beantworten. Hier wird es etwas kompliziert. Das hat damit zu tun, dass die Bibel nicht als fertiges Produkt vom Himmel gefallen ist, von Gott diktiert, das geistliche Kochbuch, das für jede Fragestellung und Situation des Lebens das richtige Rezept enthält. Vielmehr ist sie in einem langen Prozess von etlichen Jahrhunderten gewachsen. Nicht von Gott diktiert, sondern eine Sammlung von Berichten verschiedenster Menschen, verschiedenster Epochen, die davon erzählen, wie sie das Wirken Gottes in ihrem jeweiligen Umfeld erlebt haben.

 

Sie berichten von der Geschichte Gottes mit den Menschen aus ihrer jeweiligen geschichtlichen Situation; die einen aus der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel, andere von der Geschichte Gottes mit seinem Sohn, Jesus Christus und wieder andere von der Geschichte Gottes, wie sie sich in den ersten Jahrzehnten der ersten christlichen Gemeinden verwirklicht. Und sie erzählen von dem, was sie mit Gott erlebt haben, in ihrem jeweiligen kulturellen Rahmen. Die einen erleben Gott aus der Perspektive von Menschen, die eine karge Landwirtschaft am Rande der Wüste betreiben, als Nomaden durch die Gegend ziehen und um ihr Überleben kämpfen. Andere leben in Städten, relativ gesichert und können sich den Luxus von Poesie leisten. Die einen berichten von dem, wie sie Gott in drohender Kriegsgefahr oder in Verfolgungssituationen erleben. Da schreibt einer aus der Perspektive eines gebildeten antiken Weltbürgers und einer aus der Perspektive des jüdischen Fischers, aus der Provinz.

 

All das, wie die verschiedenen Umstände die verschiedenen Menschen prägen, fließt ein in die Art, wie sie Gott in ihrer jeweils verschiedenen Situation wahrnehmen. Erlebt haben sie alle etwas vom Wirken Gottes, doch ihre Wahrnehmung davon ist gebrochen durch ihre geschichtliche und kulturelle Situation. So gebrochen, wie sie Gott wahrgenommen haben, schildern sie ihn in der Bibel.

Die Bibel ist nicht Gottes Wort. Doch wir können Gottes Wort in der Bibel finden, gebrochen in der begrenzten Wahrnehmung der Menschen, die uns ihre Erfahrungen mit Gott mitteilen. Stichwort Schwarzbrot, das muss gut durchgekaut werden, das kann anstrengend sein, ist aber gesund. So ähnlich funktioniert das mit der Bibel. Dies Buch ist eine Herausforderung, die nicht ganz einfach zu meistern ist. Doch setzen wir uns mit ihr auseinander, kauen wir das durch, was sie uns bietet (und pulen auch mal das eine oder andere unverdauliche Element heraus), ernähren wir uns ausgesprochen gesund.

 

Und wieder meldet sich die protestierende Stimme: „Das heißt doch nichts weiter als sich aus der Bibel rauszupicken, was einem gefällt. Und der Rest wird ignoriert. Die reine Beliebigkeit."

Nein, genauso geht es nicht. Richtig ist, dass die Bibel interpretiert werden muss. Wir müssen in ihr suchen, wenn wir das Wort Gottes finden wollen. Das hat nichts mit rauspicken zu tun. Sondern damit, dass die Wahrheit Gottes sich z.B. bricht in dem geschichtlich-kulturellen Verständnis eines israelischen Bauern, der vor 3000 Jahren verstorben ist. Doch wir wollen die Wahrheit Gottes verstehen, damit sie heute in unserm völlig anderen Leben wirksam werden kann (natürlich auch wieder gebrochen) und dazu müssen wir herausfinden, was geschichtlich bedingter Ballast ist und was der Kern der zeitlos wahren Gotteserfahrung, die uns so wichtig werden kann, wie dem Menschen vor 3000 Jahren, der uns von ihr erzählt. Sie wird uns sicher anders erreichen, doch genauso wichtig werden.

 

Bleibt die Frage nach der Beliebigkeit. Suchen wir uns raus, was uns gefällt, und verwerfen, was uns stört? Es wäre falsch und würde uns sonst wohin führen, doch nicht in Kontakt mit dem lebendigen und erfahrbaren Gott, von dem uns die Bibel berichtet. Es gibt einen Interpretationsschlüssel, ein Entscheidungskriterium, das uns durch die Krusten der zeitbedingten Irrtümer zur zeitlosen Wahrheit des Wortes Gottes führt. Ein Kompass, orientieren wir uns an dem kommen wir ans Ziel. Ersetzen wir ihn durch Beliebigkeit, verirren wir uns heillos.

 

Bei Luther heißt das, wir müssen uns an dem orientieren, „was Christum treibet". Etwas neuzeitlicher formuliert: Kern und Mitte der Bibel ist das Evangelium von Jesus Christus. Alles, was Gott uns von Anbeginn der Zeiten mitteilen und erfahrbar machen wollte, mündet in der Person Jesus Christus. Sein Leben, Sterben und Auferstehen ist das zentrale Wort Gottes an uns. In dem, was er uns mitgeteilt hat, verdichtet sich Gottes Wort an uns. Er ist die Wahrheit. Alles andere, auch alles andere in der Bibel muss sich an ihm und seiner Botschaft messen. Das ist unsere Interpretationsaufgabe: Herauszufinden, welche biblischen Texte, mit dem Leben und der Botschaft Jesu übereinstimmen, Evangelium enthalten und welche nicht.

 

Ein Beispiel: In 2.Könige 2,23+24 wird uns erzählt, wie der Prophet Elisa von einigen kleinen Jungen „verspottet" wird. Sie bauen sich hinter ihm auf und schreien „Kahlkopf, komm herauf" hinter ihm her. Daraufhin dreht er sich um und „als er sie sah, verfluchte er sie im Namen des Herrn. Da kamen zwei Bären aus dem Wald und zerrissen 42 von den Kindern." Solch eine Geschichte muss sich an Jesus messen lassen. An dem Jesus, der die Kinder zu sich kommen lässt, aus dessen Leben sich das Evangelium ableiten lässt, dass Gott die Liebe ist (1.Joh 4,16) Im Licht dieses Evangeliums muss diese Geschichte sich die Frage gefallen lassen, was das bitte soll, und vor allem, was das mit Gott zu tun gehabt haben sollte. Ein Gott, der die Liebe ist, lässt doch keine kleinen Jungen von Bären zerreißen, weil sie über die Stränge schlagen. Was immer der Prophet erlebt haben mag, und was der Erzähler sich bei dieser Geschichte gedacht hat, vor dem Hintergrund der Guten Nachricht der Liebe Gottes in Jesus Christus, gehört sie zu den Akten. Gemessen an dem „was Christum treibet", fällt sie durch den Rost.

 

Und da dürfte es andere geben. Herauszufinden, was gilt, und was sich getrost überblättern lässt, ist unsere Aufgabe. Wir gehen nicht den leichten Weg der Beliebigkeit, wenn wir uns ihr stellen, sondern erfüllen einen Auftrag des Evangeliums, wenn wir herausarbeiten, was Gute Nachricht von der Liebe Gottes in der Bibel ist, was verkündigt und gelebt gehört, und was zeitbedingter Ausrutscher ist, der vor dem Evangelium keinen Bestand hat.

 

Frauen

Welch verheerende Folgen es haben kann, sich dieser Aufgabe zu entziehen, die Bibel unter der Fragestellung, was Evangelium widerspiegelt und was nicht, zu interpretieren, lässt sich an einem sehr gruseligen Beispiel verdeutlichen: Dem, was in etlichen Kirchen zum Thema Frauen passiert.

Eine der Sensationen dessen, was Jesus lebte, war sein Verhältnis zu Frauen. In seinem Umfeld galten Frauen als zweite Wahl. Von ihrer Geburt bis zum Tod standen sie unter der Verfügungsgewalt von Männern. Ihre Existenz hatte keinen eigenen Wert. Erst waren sie als Töchter ihren Vätern untergeordnet, dann als Ehefrauen ihren Männern. Das 10.Gebot ordnet die Frau dem „Hausrat" des Mannes zu: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus (an erster Stelle! Dann erst:) ...deines Nächsten Weib (und in einem Atemzug:) Knecht, Magd, Rind, Esel, noch alles, was dein Nächster hat." (2.Mose 20,17) Eine Frau konnte kein eigenständiges religiöses Leben pflegen, ihre Aussage vor Gericht zählte nicht. Ihr wurde keine rechtsverwertbare Wahrnehmung der Realität zugestanden. Zu Zeiten Jesu sprach ein Mann außer mit „seinen eigenen" (Ehefrau, Töchter, Mutter, nahe Verwandte) nicht mit Frauen und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Geschweige denn, dass ein Mann sich von einer fremden Frau hätte berühren lassen.

 

All diese ehernen, jahrtausendealten, würdigen Regeln kümmern Jesus nicht. Zum Entsetzen seiner Umwelt geht er mit Frauen genauso um, wie mit Männern. Selbst in der Öffentlichkeit scheut er den Kontakt zu Frauen nicht. Er führt theologische Debatten mit Frauen und lässt sich - Skandal!! - von Frauen berühren. Frauen finden sich unter den Menschen, die ihm nachfolgen, gehören also zum engeren Kern um Jesus. Was für uns heute selbstverständlich klingt, war damals eine ungeheure Provokation. Es war die Provokation des Evangeliums: Dass es vor Gott eben nicht Menschen erster und zweiter Wahl gibt, dass jeder Mensch - gleich welchen Geschlechts - eine eigenständige und wertgeschätzte Existenz vor Gott hat. Dass die Liebe und Ansprache Gottes jedem Menschen direkt gilt und nicht vermittelt durch andere, weil man angeblich dem falschen Geschlecht angehört. Bei Jesus, mit dem Evangelium findet die jahrtausendealte Entrechtung der Frauen ein Ende.

Das wird in den ersten Christengemeinden verstanden, das ist Evangelium und wird umgesetzt. So ist es zu Anfang auch gar keine Frage, dass Frauen genau wie Männer Leitungsfunktionen in den Gemeinden wahrnehmen. Das lässt sich z.B. an den Grußformeln der Paulusbriefe ablesen, wo reihenweise Frauen als Gemeindeleiterinnen gegrüßt werden. Paulus formuliert das Evangelium von der Gleichwertigkeit aller Menschen dann in Galater 3,28 auf den Punkt: „Es hat darum nichts mehr zu sagen, ob einer Jude ist oder Nichtjude, Sklave oder frei, Mann oder Frau. Durch Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein einziger Mensch geworden."

 

Diese radikale Umsetzung des Evangeliums geht in der frühen Kirche eine ganze Weile gut. Ungefähr solange, bis die christlichen Gemeinden stärker von der Öffentlichkeit wahr- genommen werden. Doch je mehr Interesse sie hervorrufen, desto öfter schallt ihnen der Entsetzensschrei entgegen: „Guckt euch bloß diese Verrückten an - bei denen haben ja die Frauen das sagen!" Konträrer zu gängigen gesellschaftlichen Normen konnte sich eine Gruppe in der damaligen Zeit kaum verhalten. Ein vernichtenderes Echo auf ihre Praxis war damals kaum denkbar.

 

So etwas tut natürlich nicht gut, gerade dann, wenn man eben eine Ahnung davon erhält, wie schön das wäre öffentlich wahrgenommen, anerkannt und geschätzt zu werden. Welche Wachstumschancen da drin wären, wenn die Öffentlichkeit sich endlich mit den Lehren der christlichen Gemeinde beschäftigte, anstatt eine unbeachtete Kümmerexistenz am Rande der Gesellschaft führen zu müssen. Hier war die Chance, aus der finsteren Schmuddelecke ins Licht des Geschehens zu treten. Wenn da bloß nicht diese blöde Sache mit den Frauen wäre.

 

Eine ungeheure Verlockung, der die frühen Gemeinden nicht gewachsen sind. Und ehe man sich versieht, hat die Kirche dem gesellschaftlichen Druck nachgegeben, und die Frauen werden wieder auf den Platz gewiesen, der ihnen in der antiken Welt zusteht: Zurück ins zweite Glied. Heim und Herd sind ihre Welt. In der Kirche haben sie zu schweigen, wie überall sonst auch in der Öffentlichkeit. Kirche wird Männersache. Die Männer a- gieren, die Frauen hören und sehen schweigend zu. Die Welt ist wieder in Ordnung, und die Reputation der Christengemeinden steigt schlagartig. Allerdings zulasten des Evangeliums, dessen Umsetzung hier erheblich eingeschränkt wird.

 

Und nachdem wir eben noch gelesen haben, dass es nichts zu sagen hätte, ob eineR Mann oder Frau sei, weil wir in Christus alle eins sind, lesen wir in einem der nächsten Paulusbriefe: „...sollen die Frauen in euren Versammlungen schweigen. Sie sollen nicht reden, sondern sich unterordnen, wie es auch das Gesetz vorschreibt. Wenn sie etwas genauer wissen wollen, sollen sie Zuhause ihren Ehemann fragen. Denn es schickt sich nicht für eine Frau, dass sie in einer Versammlung spricht." (1.Kor. 14,34+35) Ein klarer Rückfall hinter das Evangelium, obwohl er in der Bibel steht. Und dieser eindeutige Rückschritt hinter das, was Jesus gesagt und getan hat, setzt sich in der Kirche durch, und massive Männerinteressen und gesellschaftliche Realitäten sorgen dafür, dass dieser Bruch des Evangeliums bis heute in etlichen Kirchen geltende Norm ist.

 

Wenn wir die Bibel, in der neben Evangelium eben auch andere, gegen das Evangelium gerichtete Aussagen zu finden sind, nicht vom Evangelium her interpretieren, wenn wir die Bibel nicht danach befragen, was Evangelium ist, und wie seine Umsetzung zu geschehen hat, dann fällt sie der Beliebigkeit in die Hände. Einer Beliebigkeit, die aus der Bibel herauspickt, was jeweils geltender Norm entspricht, wie man die Konfrontation mit gesellschaftlichen Realitäten vermeidet, einer Beliebigkeit, die sich den jeweiligen Normen an- passt und Verhältnisse aufbaut, unterstützt und zementiert, die dem Evangelium von Jesus Christus zuwiderlaufen.

 

Ein Gräuel?

Kehren wir nach diesem langen Umweg ins Grundsätzliche zurück zu der Ausgangsfrage, ob und wie wir - uns von der Bibel abgelehnt fühlende Lesben und Schwule - ein positives Verhältnis zur Bibel entwickeln können. Versuchen wir es doch einmal mit einer Interpretation der entsprechenden Stellen vom Evangelium her. Wenn wir uns dieser Aufgabe stellen, haben wir zwei Fragen zu beantworten:

- Wer sagt was, in welchem Zusammenhang, und was hat das mit uns zu tun?

- Kann das, was mit uns zu tun hat, vor dem Evangelium bestehen?

 

Schauen wir uns die erste Frage, die nach dem geschichtlich, kulturellen Hintergrund an:

Die o.g. alttestamentlichen Stellen aus dem 3.Mose sind entstanden in einer Gruppe von Menschen, die als Nomaden unter kargsten Bedingungen, um ihr Überleben kämpften. Ihre Vorfahren hatten die, von ihnen als dekadent erlebten Stadtkulturen des alten Orients verlassen. Ihre Götterwelt und deren Kulte lehnten sie ab, sie folgten einem anderen Gott.

 

Ihr Überleben war nur möglich, wenn sie sich den harten Bedingungen der Wüste an- passten. JedeR hatte seine/ihre Aufgabe im täglichen Überlebenskampf zu erfüllen, da war harte Arbeit zu leisten, die Menschen hatten miteinander zu funktionieren, wer sich dem verweigerte, gefährdete das Überleben der Gruppe. Sie alle hatten dazu beizutragen, dass ihr Volk sich vermehrte. Je mehr sie waren, umso mehr helfende Hände waren da und umso mehr Kämpfer, um sich ihren Weg auf ein Land zu, an dem sie sich niederlassen konnten, zu bahnen.

 

Beziehungen wurden nach Zweckmäßigkeit arrangiert. Die Clanchefs verfügten, wer wen zu heiraten hatte, und das hatte zu funktionieren. Irgendwelche Eskapaden, Verliebtheiten und eventuell daraus resultierende Beziehungen, die das Wohlergehen der ganzen Gruppe nicht gefördert hätten, wären ein Luxus gewesen, der einfach unerschwinglich war. Wie sollte in solch einem Kontext eine Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts anders als Katastrophe wahrgenommen werden? Schlichte heterosexuelle Liebesbeziehungen, störten doch schon die sorgsam austarierte Heiratspolitik der Familien und wurden möglichst verhindert. Doch wenn es denn gar nicht zu vermeiden war, so konnten „wild" entstandene heterosexuelle Partnerschaften wenigstens noch Kin- der hervorbringen und somit für die ganze Gemeinschaft Nutzen bringen. Aber eine homosexuelle Beziehung wäre zu allem anderen Elend, vor allem eine unerhörte Verschwendung von Fruchtbarkeitspotential gewesen. Da hätten Menschen „ihre Lust aneinander gehabt", hätten sich aneinander „verschwendet", ohne dass sie neue Menschen, die doch so dringend benötigt wurden, hervorbrachten. Solch eine Verschwendung musste mit allen Mitteln verhindert werden.

 

Was alles noch schlimmer machte, war, dass homosexuelle Praktiken aus den Kulten der „dekadenten und verderbten" Völker bekannt waren, denen man den Rücken gekehrt hatte. In ihren Tempeln wurden Fruchtbarkeitsrituale begangen, an denen nicht nur weibliche, sondern auch männliche und transsexuelle Tempelprostituierte beteiligt waren. Homosexuelle Praktiken hatten etwas mit fremden und bedrohlichen Kulten zu tun, die für die neu entstehende Religion und Kultur absolut tabu waren. Ein Aufflackern solch „heidnischen Verhaltens" hätte einen Rückfall in die Verderbnis bedeutet, der man unter großen Opfern den Rücken gekehrt hatte. Das durfte, das konnte nicht sein.

 

Die neutestamentlichen Texte, mit denen wir uns konfrontiert sehen, sind in einer völlig veränderten Welt entstanden. Es gibt jedoch eine Gemeinsamkeit zu den Textstellen im Alten Testament: die als Notwendigkeit empfundene Abgrenzung nach „außen": Die christlichen Gemeinden waren als eine rein innerjüdische Angelegenheit entstanden. Eine von vielen Sondergruppierungen des Judentums, die sich nur und ausschließlich an Juden richtete. Doch nach wenigen Jahren entdeckt das Christentum seine Sendung nicht nur an das Judentum, sondern an alle Menschen, also auch an die „Heiden". Dieser Kurswechsel hätte die junge Kirche beinah zerstört. Die Auseinandersetzungen über die Öffnung zum Heidentum wurden in einer solchen Schärfe und Härte geführt, dass ihre Spuren deutlich im Neuen Testament zu finden sind. Es muss ein ungeheurer Bruch gewesen sein, die vertraute Abgegrenztheit der jüdischen Welt zu verlassen, den Gott und seine Liebe, die doch bislang exklusiv dem jüdischen Volk Gottes vorbehalten schienen, aller Welt mitzuteilen.

 

Etliche der frühen ChristInnen waren nicht in der Lage, diesen Kurswechsel mit zu vollziehen. Sie wandten sich von der Kirche ab und sammelten sich in speziell judenchristlichen Gemeinden. Doch auch für die Mehrheit der JudenchristInnen, die den neuen Kurs mittrugen, war er unheimlich. Seine Resultate wurden misstrauisch beäugt. Was das werden sollte, wenn Heiden plötzlich gelten sollte, was doch eigentlich ihnen vorbehalten war, darauf war man gespannt. Diese Heiden, hatten nun zu beweisen, dass sie das wert waren, was ihnen da angeboten wurde. Nachdem man sich in knallharten Auseinandersetzungen darauf geeinigt hatte, dass die Heiden sich auch keiner Beschneidung mehr unter- ziehen mussten, um als ChristInnen aufgenommen zu werden, wurde die Ethik umso wichtiger, durch deren Einhaltung sie deutlich zu machen hatten, dass sie ihre Aufnahme in das Volk Gottes verdienten.

 

Dass das Volk Gottes etwas Besonderes war, wurde nicht zuletzt dadurch deutlich, dass es sich ethisch von dem unterschied, was in der heidnischen Umwelt gang und gäbe war. Woran lässt ethische Grenzziehung sich besser veranschaulichen als in Fragen der Sexualität? Was sich da in der antiken Umwelt abspielte, löste im Juden- und im Judenchristentum entsetztes Kopfschütteln aus. Griechisch-römische Dekadenz, wohin man schaute: Statt, dass Mann und Frau sittsame Ehen lebten, Kinder bekamen und die zu gottesfürchtigen, anständigen Menschen erzogen, nichts als Sittenverfall - Ehebruch, Prostitution, kultische Sexualität, Tempelhuren und -Stricher, Orgien, Männer, die sich wir Frauen kleideten und umgekehrt, Partnertausch und homosexuelle Gräuel. Die ganze Verworfenheit und Gottesferne des Heidentums wurde deutlich an dieser verluderten Sexualmoral allenthalben.

 

Im Römer 1 beschreibt Paulus, wie diese Verbindung zwischen dem Unglauben der Heiden und ihrer „verkehrten Sexualität" verstanden wird: Weil sie nicht glaubten, obwohl es ihnen möglich gewesen wäre, weil sie die Lüge anstatt der Wahrheit wählten, verkehrte sich auch die Welt ihrer Werte. Ihre verkehrte Glaubenswelt bedingt ihre verkehrte Moral. Gott gab sie dahin in ihre Verkehrtheit, und so wird ihre Sexualität zum Ausdruck ihres Unglaubens, ihrer Gottverlassenheit. Dekadente Glaubenswelten führen zu dekadenter Sexualität. Die Menschen orientieren sich nicht an Gott, also verlieren sie auch die Orientierung für ihr Leben. Guckt sie euch an: da führen sie ihr gottloses Luxusleben, und vor lauter Langeweile und Dekadenz fangen sie an, mit ihrer Sexualität rumzuspielen, und so verlassen die Frauen ihre Männer und treiben es miteinander, und die Männer tun desgleichen. Widerlicher Heidenkram, der nur zu deutlich macht, wie gottlos diese antike Welt ist.

 

Wer sich in diesem Umfeld zu Christus bekehrt, der/die hat dementsprechend sein/ihr Sexualleben auf Kurs zu bringen. Weg von diesen heidnischen Verirrungen, wie homosexuellen Praktiken, am besten zu zölibatären Lebensformen (denn der Herr kann schließlich jeden Tag wiederkommen, da lohnt sich keine Ehe mehr) oder, wem das nicht gegeben ist, der/die hat eine monogame, anständige, vorbildliche heterosexuelle Ehe zu führen und sonst gar nichts (1.Kor 7).

 

ChristInnen müssen anders sein, müssen sich deutlich von ihrer gottlosen Umwelt unterscheiden. Wo fremde sexuelle Praktiken als Indiz für heidnische Verirrungen gewertet werden, ist eine Korrektur des Sexualverhaltens hin zu tradierten jüdischen Normen, ein wichtiger Beleg für die Bekehrung der Heiden. Durch ihre Annahme des jüdischen Wertesystems machen sie deutlich, dass sie sich von der verworfenen Welt des Heidentums abgewandt haben und nun dem neuen Volk Gottes angehören.

Was hat das alles mit uns zu tun? Wir leben nicht mehr in einer Nomadengesellschaft, die am Rand der Wüste um ihr Überleben kämpft. Zumindest in der westlichen Welt, bringt es kein gesellschaftlich festgeschriebenes Überlebensmodell mehr aus dem Tritt, wenn Menschen freigewählte Liebesbeziehungen eingehen, statt sich unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten verheiraten zu lassen. Wir müssen nicht mehr um jeden Preis Kinder produzieren, um das Überleben unserer Gesellschaft zu gewährleisten (das Gegenteil dürfte näher liegen). Mittlerweile ist es klar geworden, dass unsere sexuelle Orientierung nicht unserm Willen unterworfen ist und auch nicht durch unsere Recht- oder Falschgläubigkeit geprägt ist. Dass Menschen begeisterte, fromme ChristInnen sind, macht sie nicht automatisch heterosexuell. Mir zumindest ist auch noch niemand begegnet, der/die seine/ihre Homosexualität als dekadenten Tausch des „natürlichen Geschlechtsverkehrs mit dem widernatürlichen" (Römer 1,26) entwickelt hätte. Stattdessen kenne ich etliche Menschen, deren Prägung ihnen zunächst gar keine andere Möglichkeit als heterosexuelle Partnerschaften ließ, in denen sie ihre PartnerInnen und sich selbst mit einer Sexualität plagten, die ihnen widernatürlich war. Und wenn sie es denn schafften, daraus auszusteigen und ihre homosexuelle Begabung zu leben, lag dem die Entdeckung dessen, was für sie natürlich war, zugrunde. Ob uns Hetero- oder Homosexualität natürlich oder unnatürlich ist, haben wir uns nicht ausgesucht. Wir haben unsere jeweilige sexuelle Orientierung entdeckt, wir haben sie uns nicht gemacht, und versuchen nun, was wir entdeckt haben so gut und „natürlich" wir können, für uns und unsere PartnerInnen zu leben. Dass unser homosexuelles Leben nicht Teil oder Produkt irgendeines „heidnischen Kultes" ist, dessen Ausübung die Kirche gefährdet, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Fazit: Die Aussagen der Bibel, mit denen wir uns zum Thema Homosexualität konfrontiert sehen, haben mit uns, unserer Welt und unserer sexuellen Orientierung nichts zu tun.

 

Die Bibel ist voll von Anweisungen, die aus einer anderen Welt stammen und für sie bestimmt waren - seien es Kultvorschriften oder Regeln für eine landwirtschaftlich geprägte Welt, Vorschriften für die Sklavenhaltung, die Kleiderordnung und vieles andere mehr -, Regeln, die sich überlebt haben. Sie nicht mehr zu beachten, ist gut und richtig, dadurch wird weder die Autorität der Bibel, noch der zeitlos geltenden Wahrheit Gottes angekratzt. Anders hätten wir eine archaische, vor-neutestamentliche Lebensform zu konservieren, in die schon etliche alttestamentliche Propheten nicht hineingepasst hätten, geschweige denn Jesus, oder die Kirchengeschichte der letzten 2000 Jahre. Warum also sollten wir uns von Bibelstellen, die eindeutig nichts mit uns und unserer Situation zu tun haben, den Rest der Bibel vergällen lassen, der sehr wohl mit uns zu tun hat? Sowenig wir den Philemon-Brief des Paulus als Grundlage benutzen, für die Wiedereinführung der Sklaverei zu argumentieren, genauso wenig sollten wir zulassen, dass uns die entsprechenden Bibelstellen den Weg für unser Leben als homosexuelle ChristInnen versperren. Sie wenden sich gegen Dinge, die nichts damit zu tun haben, dass wir eines Tages entdeckt haben, dass unsere sexuelle Begabung sich auf PartnerInnen des eigenen, statt des andern Geschlechts richtet. Unsere Versuche, unsere Möglichkeiten der Sexualität anzunehmen und etwas Gutes daraus zu machen, mit altorientalischer, die Reinheit des Gottesvolkes be- drohender Kultprostitution, oder den Zeichen der Verworfenheit des antiken Heidentums über einen Kampf zu scheren, verbietet sich eigentlich von selbst.

 

Um die zweite Frage, nach der Fähigkeit der Texte, vor dem Evangelium zu bestehen, beantworten zu können, müssen wir einen Schritt zurückgehen. Wir könnten uns die Frage eigentlich schenken; wieso sich mit Texten weiter beschäftigen, die schon bei der Frage, ob Absender und Adressat zusammenpassen, durchs Rost fallen? Wir könnten es uns eigentlich sparen, doch der Vollständigkeit halber, gehen wir noch mal einen Schritt zurück und stellen uns vor, diese Texte meinten doch uns. Da würde so etwas stehen wie „es tut nichts zur Sache, wie ihr zu eurer Homosexualität gekommen seid, allein dass ihr so empfindet und das umsetzt, wenn eure Liebesfähigkeit sich auf PartnerInnen des eigenen Geschlechts richtet, trennt euch das von der Liebe Gottes." Wenn dort so etwas stände, dann hätten wir zu klären inwieweit das zum Evangelium von Jesus Christus passt.

 

Also begeben wir uns auf die Suche nach den Kernaussagen Jesu zum Thema Ethik. Welche Grundlagen setzt Jesus, nach denen Menschen ihr Verhalten ausrichten sollen? Was ist das „höchste Gebot", die Mitte aller Ethik, von der her sich alles andere bestimmt? Diese Frage bekommt Jesus nicht nur von uns, sondern auch im Neuen Testament ge- stellt, und er beantwortet sie indem er aus dem Alten Testament zitiert: „'Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deinem ganzen Verstand'. Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Das zweite ist gleich wichtig: 'Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!'"(Matth. 22,37-39)

 

Gott lieben - verhindert Homosexualität die Liebe zu Gott? Wenn das der Fall wäre, würdest Du dieses Buch nicht in der Hand halten, gäbe es weder ein weltweites Netz von MCC-Gemeinden noch eine christliche Lesben- und Schwulenbewegung in den traditionellen Kirchen. Dann würden Zig-Tausende von Lesben und Schwulen weder um ihren Platz in den Kirchen kämpfen oder darum, selbst Gemeinden zu bilden, wo ihnen ihr Existenz- recht in den etablierten Kirchen verweigert wird. Wenn unsere Homosexualität unsere Liebe zu Gott verunmöglichen würde, würden wir den Platz außerhalb der Kirchen, der uns traditionell zugewiesen wird, stillschweigend annehmen und die von uns erwartete Rolle der Gottlosigkeit klaglos spielen. Wir tun es nicht, weil wir Gott lieben, und die meisten von uns, setzen eine ganze Menge mehr Herz, Seele und Verstand als die heterosexuelle Mehrheit dahinein, unserer Liebe zu Gott Gestalt zu verleihen. Nicht weil unsere Homosexualität uns frommer machte, das wäre genauso ein Unsinn, wie die Behauptung unserer per Sexualität vorprogrammierten Gottlosigkeit. Doch da uns ein Leben als ChristInnen viel schwerer gemacht wird als der Mehrheit, haben wir viel härter darum zu kämpfen. Oh- ne ein entsprechendes Maß an Liebe zu Gott, würden wir das garantiert nicht tun.

 

Unsern Mitmenschen lieben, wie uns selbst - Wie uns selbst sollen wir lieben. Ohne Liebe zu uns selbst, sind wir nicht in der Lage, andere zu lieben. Wenn wir uns selbst nicht annehmen, können wir andern nicht liebevoll begegnen. Die andern werden dann instrumentalisiert, wir tun dann etwas mit ihnen, was nach Liebe aussieht, doch letztlich nur da- zu dient, die Löcher in unserm Seelenhaushalt zu stopfen. Dann überschütten wir die andern mit etwas, und tun es doch nur, damit wir unsern Selbsthass nicht mehr spüren. Wie sollen wir Lesben und Schwule dieses Gebot befolgen, wenn wir uns selbst - und dazu gehört unsere sexuelle Begabung, als prägendes Moment unserer Identität - ablehnen müssen? Wenn wir unsere Identität nicht liebevoll annehmen dürfen, dann sind wir nicht in der Lage, uns diesem Gebot entsprechend zu verhalten. Dieses Gebot ruft uns dazu auf, uns - einschließlich unserer sexuellen Begabung - anzunehmen, uns liebevoll zu uns selbst zu bekennen, zu dem zu stehen, was wir sind. Anders kriegen wir keine Liebe zu unsern Mitmenschen zustande. Wenn wir keine Selbstannahme zustande bekommen, scheitern wir an diesem Gebot.

 

Unsere Mitmenschen lieben sollen wir. Ein Mitglied der Hamburger MCC hat 15 Jahre seines Lebens mit einem erbitterten Kampf gegen seine Homosexualität verbracht. Das höchste Gebot schien ihm zu sein, seine sexuelle Orientierung zu ändern. Er hat gebetet, intensive Seelsorge in Anspruch genommen, sich einer jahrelangen Therapie unterzogen, kommunitäres Leben ausprobiert, sich mit einer Frau verlobt, es mit der Ex-Gay Bewegung um Roland Werner probiert - alles, aber auch alles ohne Erfolg. Allzu viel Luft zum leben oder gar liebevoll mit seinen Mitmenschen umzugehen, blieb da nicht mehr; denn alle Energien waren nach innen gerichtet, auf den Wunsch, das abzuändern, was er nun mal war. Ein Irrweg vor dem Hintergrund, dass uns geboten ist, uns anzunehmen, wie wir nun mal sind und davon ausgehend unsere Energien liebevoll nach außen zu richten.

 

Was wir als Kernaussagen christlicher Ethik vorfinden, sagt wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen sollen - liebevoll. Dass Jesus nichts über Homosexualität sagt, macht vor diesem Hintergrund Sinn. Es scheint ihm belanglos zu sein, nach welchen Kriterien uns andere Menschen nahekommen. Ob unsere Homosexualität uns eher in die Nähe von Menschen des gleichen Geschlechts zieht oder Heterosexualität uns mehr in Kontakt zu gegengeschlechtlichen FreundInnen bringt, scheint völlig irrelevant, sofern wir sie denn lieben. Nicht unsere FreundesInnen- und PartnerInnenwahl ist von Bedeutung, vielmehr wie wir mit ihnen umgehen. Natürlich gibt es da Grenzen, die zu beachten sind, dazu später mehr, doch diese gelten für Homosexuelle kein bisschen mehr, weniger oder anders, als für Heterosexuelle. Zu lieben drängt uns das Evangelium, wen wir allerdings lieben, das bleibt uns selbst überlassen.

 

Welchen Sinn sollte, neben der Kernaussage des Evangeliums, dass wir lieben sollen, ein Verbot der Homosexualität machen? Es wäre ebenso unsinnig, wie die Anweisung an die Frauen, in der Gemeinde zu schweigen. Zeit- und kulturgebundene Aussagen, die vor dem Evangelium keinen Bestand haben. Lassen wir uns von ihnen den Zugang zur Bibel nicht verstellen. Die enthält nämlich eine ganze Menge mehr und anderes, was wir als Orientierungspunkte dringend brauchen.

 

...damit alle...

Das sagt sich alles so schön, dass wir lieben sollen, doch woher nehmen wir die Energie dazu? Zugedröhnt mit Verneinung, zum Selbsthass erzogen. Wie viele von uns haben es schließlich nicht überstanden und haben den Selbstmord, dem Horror des Coming-Outs vorgezogen. Und wie viele haben den Kampf mit LehrerInnen, Eltern, PastorInnen und MitschülerInnen nur beschädigt überstanden? Kaum noch in der Lage, sich, geschweige denn andere zu lieben.

 

Schauen wir noch mal in die Bibel, eine dieser fettgedruckten Stellen, noch mal so eine Kernaussage des Evangeliums: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben empfangen." (Joh 3,16)

 

Die ganze Welt hat Gott geliebt, steht da. Für jeden Menschen ist Gottes Sohn gesandt, und das ohne Auswahlkriterien. Sonst hätte hier so etwas zu stehen wie „also hat Gott die heterosexuelle Welt geliebt". Steht da aber nicht, sondern „die Welt" - auch ein- schließlich aller Minderheiten, deren sexuelle Vorlieben der Norm der Mehrheit nicht entsprechen. Und seinen Sohn hat er gesandt, damit alle, die an ihn glauben, die sich ihm anvertrauen, leben sollen. Alle sind eingeladen, sich Jesus anzuvertrauen, nicht „alle, so- fern sie heterosexuell sind". Und wenn sie sich ihm anvertrauen, sollen sie Leben erfahren, nicht „wenn sie sich ihm anvertrauen und dann aber ihre sexuelle Orientierung auf Normkurs trimmen".

 

Das ist die Basis, auf der wir stehen, wir alle sind eingeladen, uns Gott anzuvertrauen. Wir alle sind eingeladen, die Liebe Gottes zu empfangen, zu spüren, zu genießen. Aufzuatmen in der Gewissheit, wir sind vorbehaltlos geliebt. Wir sind ohne Einschränkung bejaht. Bevor wir irgendetwas „müssen", dürfen wir erst einmal ankommen in der tiefen Umarmung der Liebe Gottes. Und geliebt und bejaht „müssen" wir dann alles mögliche, vor allem diese Liebe, die wir erfahren haben, weitergeben. Doch wir können endlich (und müssen) aufhören, uns selbst abzulehnen, uns zu verbiegen, unsere Kraft daran zu verschwenden, etwas anderes aus uns machen zu wollen, als das, wozu Gott uns gemacht hat - homosexuelle Männer und Frauen, deren Weg sicher oft anders aussieht als der von Heterosexuellen, doch kein bisschen weniger wertvoll ist. Der genauso dazu führen soll, dass unsere Welt heilgeliebt wird, wie der eines jeden anderen Menschen, der Gottes Liebe erfährt.