Predigt im Gottesdienst
zu Mariä Himmelfahrt 15.8.2021
Prediger:
Pastor Thomas
Domröse (protestantische Perspektive)
Fritz Schultz
(katholische Perspektive)
Sicher ist unsere Hamburger MCC-Gemeinde eher evangelisch geprägt.
Aber als ökumenische Gemeinde haben wir die Gelegenheit genutzt, da das
"Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel" (wie es im katholischen Raum
offiziell heißt) auf einen Sonntag fiel, uns etwas ausführlicher mit Maria zu
beschäftigen. Dazu erarbeiteten wir zwei Predigten, eine aus eher katholischer,
die andere aus mehr protestantischer Perspektive.
Aus Lukas 2,25-35
Damals lebte in Jerusalem ein Mann namens Simeon. Er war fromm,
hielt sich treu an Gottes Gesetz und wartete auf die Rettung Israels. Er war
vom Geist Gottes erfüllt, und der hatte ihm die Gewissheit gegeben, er werde
nicht sterben, bevor er den von Gott versprochenen Retter mit eigenen Augen
gesehen habe.
Simeon folgte einer Eingebung des Heiligen Geistes und ging in den Tempel. Als
die Eltern das Kind Jesus dorthin brachten und es Gott weihen wollten, wie es
nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind auf die Arme, pries Gott und
sagte:
»Herr, nun kann ich in Frieden sterben,
denn du hast dein Versprechen eingelöst!
Mit eigenen Augen habe ich es gesehen:
Du hast dein rettendes Werk begonnen,
und alle Welt wird es erfahren.
Allen Völkern sendest du das Licht,
und dein Volk Israel bringst du zu Ehren.«
Der Vater von Jesus und seine Mutter wunderten sich über das, was Simeon von
dem Kind sagte. Simeon segnete sie und sagte zur Mutter Maria: »Dieses Kind ist
von Gott dazu bestimmt, viele in Israel zu Fall zu bringen und viele
aufzurichten. Es wird ein Zeichen Gottes sein, gegen das sich viele auflehnen
werden. So sollen ihre innersten Gedanken an den Tag kommen. Du aber wirst um
dieses Kind viele Schmerzen leiden müssen; wie ein scharfes Schwert werden sie
dir ins Herz schneiden.«
Wer oder was ist Maria für mich?
Als Thomas mich fragte, ob ich als
katholisch geprägter Mensch etwas dazu schreiben könnte, fühlte ich mich
regelrecht „erwischt“.
Einerseits sind Bilder und Statuen von Maria aus katholischen Kirchen genauso
wie Feste zu Ehren Marias in der katholischen Kirche nicht wegzudenken. Maria
als Himmelskönigin. Maria mit dem gekreuzigten Jesus auf dem
Schoß. Maria als Schutzpatronin der Seefahrenden: Stella Maris, der
Meeresstern, der den Weg weist.
Doch auf der anderen Seite, musste ich mich jetzt fragen: Hat diese Maria wirklich
eine Bedeutung für mich?
Ich gebe zu: Wenn ich Menschen begegne, die vor einer Marienfigur auf dem Boden
kniend um Beistand bitten, dann bewundere, ehrlicher gesagt, beneide ich sogar
diese innige Glaubensbeziehung.
Als Kind und Jugendlicher bin ich damit nie vertraut gemacht worden, wurde der
Rosenkranz mir nie zu etwas Selbstverständlichem, bin ich mit diesem Gebet nur
in Berührung gekommen, wenn ich zu früh zum werktäglichen Abendgottesdienst
gekommen bin. Dann empfing mich das immer wiederkehrende: Gegrüßet seist du
Maria, voll der Gnade…. Jetzt, als Erwachsener, finde ich es schwer, Zugang
dazu zu finden.
Und doch, bei näherem Hinsehen hat mich
Maria doch mehr begleitet, als ich das bisher wahrgenommen hatte. Da war etwa
die goldglänzende Maria auf dem Marienplatz im Zentrum meiner Heimatstadt
München oder die barocke Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf in unserem
Stadtteil. Heute beginnt dort der „Frauendreißiger“, 30 Tage mit Gottesdiensten
und Rosenkranzgebeten. Hier hatten auch meine Eltern geheiratet, nicht ohne die
Zusage gegenüber dem Pfarrer, die Kinder katholisch taufen zu lassen
- meine Mutter war nämlich altkatholisch.
Seit meiner Geburt begleitet mich ein
kleines Bildnis der schwarzen Madonna von Altötting zusammen mit dem des
heiligen Bruder Konrad. Von wem diese kleinen Abbilder waren, weiß ich gar
nicht. Bestimmt wurden sie geweiht, korrekt müsste es heißen gesegnet, wodurch
sie Schutz und Segen bringen sollen, wie auch der Christophorus in unserem
Auto.
Maria war aber auch ein Ärgernis, wenn es im Apostolischen Glaubensbekenntnis
heißt: …geboren von der Jungfrau Maria. Wie erleichternd war es, die Auslegung
des Theologen Hans Küng zu lesen, wonach der Glaube an Christus nicht mit dem
Bekenntnis zur Jungfrauengeburt steht und fällt.
Als Bibelstelle fällt mir sofort die
Begegnung von Maria mit dem betagten Simeon im Tempel ein. Er prophezeit Maria:
„Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk
2,35). Maria nimmt diese Aussage nach Lukas hin, sie widerspricht nicht und
versucht nicht, davonzulaufen.
Auch unter uns heute Abend werden Menschen
sein, die von eigenen leidvollen Erfahrungen berichten können, als ob ein
Schwert durch ihre Seele drang. Hier setzt Maria für mich das Zeichen, auch
wenn es schwerfällt und auch, wenn es vielleicht erstmal gar nicht möglich ist,
irgendwann wieder zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, im letzten doch gehalten
zu sein.
Gleich neben meiner Arbeitsstelle im
Zentrum Kiels befindet sich die Katholische Kirche St. Nikolaus. Wenn ich um
etwas bitten oder für etwas danken möchte, insbesondere aber, wenn ich jemanden
aus meinem Umfeld Kraft und Trost in einer schwierigen oder gar ausweglosen
Situation zusprechen möchte, dann zünde ich dort vor der Pieta, dem Abbild der
leidenden Maria mit dem Gekreuzigten auf ihrem Schoß eine Kerze an. Und damit
hoffe und vertraue ich, dass die seelischen oder körperlichen Wunden
meiner/meines Nächsten wieder heilen können.
© Fritz Schultz
Als guter Protestant beginne ich meine Predigt über Maria mit Jesus.
In meiner ersten Zeit begegnete mir Jesus im Konfirmandenunterricht, im
Gottesdienst und im Religionsunterricht meist nicht als „Jesus Christus“ oder
als „Jesus“, sondern er wurde gern „Jesus von Nazareth“ genannt. Das hat
historisch gesehen seine Berechtigung, und doch drängte sich bei diesem „von
Nazareth“ für meine deutschen Ohren eine bestimmte Vorstellung auf: die vom
Adel, von Menschen, geboren mit silbernem Löffel im Mund, die sich von anderen
Menschen abheben, abgehoben sind, in einer anderen Welt leben. Was ich sonst
noch so hörte und gelehrt bekam, bestätigte dieses Bild dann nur allzu oft: Das
Fremdsein Jesu in dieser Welt wurde besonders betont: Jesus, von niemandem
wirklich verstanden, nicht einmal von seinen Freundinnen und Freunden. Jesus,
der Gutes tat, aber wo die Vorstellung seltsam wirkte, dass er sich mit den
Geheilten gefreut oder sich bei den Gastmählern womöglich mit den anderen
amüsiert hätte. Jesus, dessen Geschichte Knall auf Fall mit der Taufe durch
Johannes seinen Anfang nahm und dann nur noch wenige Jahre dauerte. Was davor
geschah, spielte keine Rolle für den Glauben, war allenfalls sentimentale
Legende. Jesus, der in milder Strenge über die Erde wandelte, doch ohne den
Boden zu berühren. Nicht wirklich verwurzelt, abgehoben, weniger Mensch als die
Idee von einem idealen Menschen, „Jesus, der erste neue Mensch“, wobei mir
diese Idee immer ein bisschen gruselig vorkam und nicht als Ideal, dem ich
nacheifern könnte.
Ich habe dieses Jesusbild, wie es mir vermittelt wurde, etwas überspitzt
dargestellt, aber vielleicht kommt euch das eine oder andere daran bekannt vor.
Es geht in eine Richtung, die schon die alte Kirche als Irrlehre verdammt hat:
Jesus, der nur scheinbar, nie wirklich Mensch geworden ist.
Und dann kommt Maria.
Maria erdet Jesus. Wir blicken in die Krippe der Weihnachtsgeschichte, die in
göttlichem Licht erstrahlt und sehen einen Menschen: keinen holden Knaben im
lockigen Haar, sondern wie alle Neugeborenen klein, rot und schrumpelig und mit
spärlichem Haarwuchs. Und kein silberner Löffel im Mund, noch nicht einmal ein
anständiger Platz zum Schlafen! Maria, durch die Jesus in eine Welt
hineingeboren wird, die so ist wie sie ist: kalt und abweisend, aber auch ein
Ort der Liebe und der Freude. Maria, die ihrem Sohn beibringt, in dieser Welt
eigene Schritte zu setzen. Wir blicken in das kleine Haus in Nazareth, für den
kleinen Jesus die große Welt. Wir sehen, wie er Maria beim Brotbacken zuguckt,
sehen, wie sie ihm etwas Teig gibt, aus dem er eigene Mini-Brote formt. Wir
sehen ihn, wie er interessiert neben Joseph sitzt. Aus einem Reststück Holz
entsteht gerade eine Pferdefigur unter Josephs Händen, keine Auftragsarbeit,
sondern ein Spielzeug. Ein Geschenk für den Sohn. Und als Jesus sich an Josephs
Arbeitsmaterial einen Holzsplitter einfängt, zu wem rennt er wohl und wer
operiert ihm diesen Splitter mit einer Nähnadel raus und tröstet ihn dann?
Maria, die am Sabbat die beiden Lichter auf dem Tisch anzündet, das Gebet
spricht. Die Gebete, die Lieder, das ganze Judentum: von der Mutter auf den
Sohn.
Maria, die sich um ihr Kind sorgt, auf ihr Kind stolz ist, mit ihm auch gern
mal angibt, und sich hin und wieder an ihm ärgert.
Und die ihn irgendwann loslassen muss, weil sie weiß: „Er ist mein Kind und er
ist doch nicht mein Kind. Er gehört zu mir, aber er gehört mir nicht.“
Maria erdet Jesus. Seine Füße berühren den Boden, wenn er über diese Erde geht,
verbunden mit ihr, verbunden mit uns.
Der Weg zu Jesus führt über Maria, verlautet es oft von katholischer Seite. Ich
kann für mich sagen, dass ich diesem Satz zustimmen kann, dass Maria mir hilft
– nicht nur sie aber zu einem gewichtigen Teil sie – Jesus als einen wirklichen
Menschen zu sehen. „Wahrer Gott“ aber eben auch „wahrer Mensch“. Dafür danke
ich ihr von Herzen.
Amen
© Thomas Domröse