Osterpredigt 21.4.2019

Prediger: Pastor Thomas Friedhoff

Markus 16,1-8
Am Abend, als der Sabbat vorbei war, kauften Maria aus Magdala und Maria, die Mutter von Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um den Toten damit zu salben.
Ganz früh am Sonntagmorgen, als die Sonne gerade aufging, kamen sie zum Grab.
Unterwegs hatten sie noch zueinander gesagt: »Wer wird uns den Stein vom Grabeingang wegrollen?« Denn der Stein war sehr groß. Aber als sie hinsahen, bemerkten sie, dass er schon weggerollt worden war.
Sie gingen in die Grabkammer hinein und sahen dort auf der rechten Seite einen jungen Mann in einem weißen Gewand sitzen.
Sie erschraken sehr. Er aber sagte zu ihnen: »Habt keine Angst! Ihr sucht Jesus aus Nazaret, der ans Kreuz genagelt wurde. Er ist nicht hier; Gott hat ihn vom Tod auferweckt! Hier seht ihr die Stelle, wo sie ihn hingelegt hatten. Und nun geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: 'Er geht euch nach Galiläa voraus. Dort werdet ihr ihn sehen, so wie er es euch gesagt hat.'«
Da verließen die Frauen die Grabkammer und flohen. Sie zitterten vor Entsetzen und sagten niemand ein Wort. Solche Angst hatten sie.

Der Gedanke dieser Oster-Predigt ist eher nicht neu. Sowas ähnliches habe ich sicher schon mal zum Thema Ostern gesagt. Spricht aber auch nicht viel gegen, wenn einem ein schlauer Gedanke irgendwann später nicht blöd und überholt vorkommt, sondern wenn der dann immer noch schlau und bedenkenswert erscheint, oder? Spricht ja eher für den Gedanken. Was aber unter Garantie neu ist, sind die Bilder, die mich dahin geführt haben; denn die stammen aus Khangs Krankenhausaufenthalt, im Januar und Februar.

Da hat mich das erwischt:
Vielleicht kennt Ihr das auch. Ich assoziiere mit Krankheit Bettruhe. Du bist krank? Ach du armer Hase, dann leg dich erstmal hin. Du hast eine Erkältung, dann bloß schnell ins Bett mit dir. Wer neulich die 2. Charité-Staffel im TV gesehen hat, kann sich vielleicht an die Episode mit dem Widerstandskämpfer erinnern. Von Dohnany war das, glaube ich. Der war im Gefängnis so dramatisch erkrankt, dass er in die Charité unter Sauerbruchs Obhut überstellt wurde. Der verordnete dem Erkrankten erstmal Bettruhe. Und die währte dann monatelang. Solange er im Bett lag, konnten ihn die Nazis nicht wieder einkassieren. Dass einer monatelang krank zu liegen hatte, war Standard. Krank heißt liegen, ernsthaft krank, heißt lange liegen. Solange er lag, war er geschützt, also lag er. Das entspricht auch meinen Bildern und Vorstellungen von Krankheit – krank heißt liegen. Und wenn du schlimm krank bist, dann liegst du halt lange…

Bevor wir zu dem kommen, was mich bei Khang neulich im Albertinen-Krankenhaus angesprungen hat, würde ich eben gern eine Übertragung von diesem Bild krank und liegen auf unsere Lebenssituationen versuchen: Wenn wir „krank“ mal übersetzen mit Situationen, wo es das Leben nicht gut meint mit uns, dann fällt uns sicher was dazu ein. Geplatzte Hoffnungen, Abschiede, Träume, die sich in Albträume verwandelt haben, gescheiterte Beziehungen, unerträgliche Arbeitsverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Krankheiten, Sorgen, die uns niederdrücken, Beziehungslosigkeit, Diskriminierungserfahrungen und und und. 1001 kranke Situation, in denen das Leben sonst was mit uns macht, aber nicht nett zu uns ist.

Und uns geht die Puste aus, wir müssen uns erstmal hinlegen. Müssen wir wirklich. Was das Leben so an Tiefschlägen für uns bereithält, das stecken wir oft nicht weg, ohne in die Knie zu gehen, ohne im Liegen zu landen. Und mir fällt ja auch auf, dass es mit zunehmendem Alter umso flotter geht, dass wir in der Waagerechten landen. Vor ein paar Jahren hätten wir das noch weggesteckt. Locker vielleicht auch damals schon nicht. Aber die vernichtende Bemerkung der „Freundin“, der Turbostress im Job, die Diagnose des Arztes… lustig hätten wir das auch vor ein paar Jahren nicht gefunden. Aber dass uns das so umnietet und wir kaum wieder auf die Beine kommen, das wäre vor einiger Zeit noch anders gelaufen. Ehe wir uns versehen, liegen wir flach.
Und wenn wir Pech haben, dämmert uns dann: Das ist es was das Leben mit uns macht. Es zwingt uns immer wieder in die Waagerechte und irgendwann wird das final so sein. Irgendwann werden Alter, Krankheit und Vergänglichkeit uns unausweichlich so sehr in die Knie gezwungen haben, dass wir gar nicht mehr hochkommen. Kein Gedanke, der Erholung fördert. Blöd. Was tun wir damit?  Erstmal gönnen wir uns Bettruhe. Schön liegen bleiben, vielleicht wird es ja wieder. Und wenn nicht, naja, dann haben wir es halt hinter uns. Dann beginnt die unausweichlich finale Waagerechte eben schon ein bisschen früher als erwartet… So oder so, jetzt bleiben wir erstmal schön liegen.

Aber neulich im Krankenhaus lief das anders. Khang war noch nicht ganz fertig operiert, da wurde er schon aus dem Bett gescheucht. Nix liegenbleiben – aufstehen war angesagt. Aber der hat doch einen Katheder und eine Drainage. Was soll er denn mit den Beuteln machen? Die kann er doch wohl in die Hand nehmen! Und die drei Tröpfe? Na die hängen ja schließlich an dem Ständer. Den kann er benutzen, um sich daran festzuhalten, der hat Rollen, kann er wie eine Art Rollator benutzen. Und jetzt Schluss mit der Debatte und raus aus dem Bett. Das ist da jetzt Standard – keine lange Bettruhe mehr, sondern sobald das irgendwie möglich ist, aufstehen. Die ersten Schritte über den Flur machen, wieder in die Gänge kommen.

So haben die natürlich nicht nur Khang aus dem Bett gescheucht, sondern da herrschte ein ziemlicher Betrieb auf den Fluren. Lauter Leute in Flügelhemden, die sich an Tropfständern festhielten und versuchten, nach ihren OPs wieder auf die Beine zu kommen. Leicht war das sicher nicht. Nach all dem, was die Leute hinter sich hatten, wäre es sicher tausendmal netter gewesen, liegen bleiben zu können und die Bettruhe zu genießen. Aber keine Chance – Aufstehen war die Devise.

Was Jesus, seine JüngerInnen, die beiden Marias und Salome aus der Geschichte, die wir gerade gehört haben, hinter sich hatten, war auch nicht lustig. Das Leben hatte ihnen verdammt übel mitgespielt. Vor allem Jesus. Was die Leute mit dem gemacht haben: Eben waren sie noch seine Fans gewesen, jetzt ihr Gebrüll: „Kreuzigen“. Da waren viele dabei, die er vor kurzem noch geheilt hatte. Und die Chance, den loszuwerden, ließen sich die Herrschenden natürlich nicht entgehen. Die haben ihn wirklich gekreuzigt. Den, auf dem eben noch alle Hoffnungen lagen, er würde die neue Welt Gottes herbeiführen. Er würde für Gerechtigkeit sorgen, er würde die Welt heiler, versöhnter, neu machen. Der starb nun am Kreuz. Verdammt übel hat ihm das Leben mitgespielt. Und seinen Leuten natürlich auch.

Naja, aber nun hatte er es immerhin hinter sich. Sein Elend war zuende. Nun konnte er liegen und ruhen. Nach all den Qualen, war es nun vorbei. Immerhin. Endlich liegen und ruhen. Und für die drei Frauen und die anderen JüngerInnen war’s jetzt auch vorbei. Sie hatten eine gute Zeit gehabt mit Jesus, aber nun war’s das. Was sie gehofft hatten, was mit Jesus für eine Zukunft anbrechen sollte, das konnten sie vergessen. Jetzt konnten sie ihre Erinnerung an die gute Vergangenheit mit Jesus pflegen, aber das war‘s dann auch. Das mag nicht das sein, was wir toll finden, was wir uns gewünscht hätten. Aber wenn so ein gewisses Maß voll ist, an Quälkram, dann ist irgendwann auch gut. Wenn das Leben uns mal wieder mit einer Runde Tiefschläge versorgt hat, irgendwann war’s das dann einfach. Dann Bettruhe oder einfach final liegenbleiben, das kann eine echte Alternative sein.

Doch Jesus ist nicht liegengeblieben. Was das Neue Testament uns über die Auferstehung Jesu erzählt, davon können wir in Klein gerade etwas in der Natur erleben. Obwohl „in Klein“ ist nicht der richtige Begriff, das ist ja schon was ausgesprochen Großes, wie sich das Leben immer wieder zurückkämpft. Wie aus Totem, Erstorbenem neues Leben aufersteht. Das ist schon ziemlich groß. Andererseits ist es überhaupt nichts im Vergleich dazu, dass Gott Jesus vom Tod auferstehen lässt. Das mag uns zwar auf den ersten Blick nicht so spektakulär erscheinen wie das aktuelle Aufblühen der Natur. Ist aber 1000mal spektakulärer. Denn Gott überwindet da nicht nur einen Schlaf, sondern den wirklichen Tod. Das ist nochmal eine andere Liga.

Doch das Wirken dahinter, das ist in beiden Fällen das Gleiche, beim Aufwachen der Natur und der Auferstehung Jesu. Beides geschieht durch das Wirken Gottes, das immer wieder ins Leben drängt. Und das tut es mit solcher Macht und Intensität, dass es auch vor dem Tod nicht haltmacht.
Selbst, dass Jesus tot ist, dass es da eigentlich nichts weiter gibt für ihn, als zu liegen, ewige Bettruhe, hält Gott nicht davon ab, Jesus wieder ins Leben zu rufen. Das unbändige Leben Gottes lässt Jesus wieder aufstehen. Nix liegenbleiben – aufstehen!

Bei Gott ist die Kraft, die es uns ermöglicht wieder aufzustehen. Das ist der große Zuspruch von Ostern (um mal wieder Frieders System von Zuspruch und Anspruch zu Ehren zu bringen). Das ist das absolut Tolle, das uns Ostern zugesagt ist: Gott ist stärker als alle Tode. Gottes Energie macht selbst vor dem Tod nicht Halt. Auch wenn das Leben uns immer wieder niederstreckt, wir müssen nicht liegenbleiben. Selbst das finale Liegenbleiben des Todes wird uns nicht festhalten. Die Auferstehung Jesu verspricht uns, dass uns auch der Tod nicht halten wird. Selbst über den Tod hinaus wird die Kraft Gottes uns neues Leben schenken. Das ist der atemberaubende Zuspruch, der uns Ostern erreichen will. Und wo sich in Frieders System zum Zuspruch dann der Anspruch stellt, verbindet sich mit der tollen Nachricht von Ostern die Aufforderung an uns aufzustehen. Dass wir aufstehen können, dass Gott uns die Fähigkeit schenkt aufzustehen, bedeutet auch, dass wir aufstehen sollen.

Wir müssen nicht liegenbleiben und wir sollen es nicht. Auch wenn das Leben uns mal wieder umgenietet hat, auch wenn wir Drainagen und Tröpfe benötigen, wenn wir aufstehen können, sollen wir uns die Drainagebeutel schnappen, uns mit der anderen Hand am Tropfständer festhalten und wieder aufstehen. Neues anfangen, Begonnenes weitermachen, Altes abschließen – nur nicht liegenbleiben. Das ist schwer? Wir fühlen uns wacklig auf den Beinen. Ja, das ist wohl so. Die ersten Schritte nach einer OP sind sicher kein Zuckerschlecken. Dass Jesus wieder hoch- sollte/konnte/musste, dürfte auch kein Vergnügen gewesen sein. Aber: Gott befähigt uns wieder aufzustehen und so sollen wir das auch tun.

Wie wenig selbstverständlich das alles ist, wird auch in dieser Ostergeschichte des Markusevangeliums deutlich. Ich mag die einfach sehr, mehr als die anderen, die viel mehr jubeln über das, was da geschah. Diese Geschichte schließt mit dem „Zittern vor Entsetzen“ und dem Verstummen der Frauen, denn „solche Angst hatten sie“. Damit endet nicht nur seine Ostergeschichte, sondern das ganze Evangelium des Markus. Das Triumphieren, das da dann noch hinterherkommt, wurde erst gut 100 Jahre später dazugeschrieben. Markus beschließt seine Ostergeschichte und sein Evangelium mit der Angst der Frauen über die Auferstehung Jesu.

Das hat doch was; denn das kann einfach Angst machen, wieder aufzustehen, nachdem das Leben uns mal wieder so eine volle Breitseite verpasst hat. Die Vorstellung, dann wieder aufzustehen, kann so viel Angst machen, kann uns so sehr entsetzen, dass wir lieber liegenbleiben. Das beschreibt diese Szene des Markusevangeliums ganz wunderbar, dass Auferstehung nicht automatisch Jubel, Aufspringen und Tanzen bewirken muss. Sondern, dass Gott uns ins Leben ruft, dass Gott uns zum Aufstehen befähigt, das kann Angst machen. Und dann bleiben wir doch lieber liegen. Aber Gott bleibt dabei und ruft uns zu: Aufstehen! Wir haben Angst davor? Egal! Wir zittern vor Entsetzten? Macht nix! Trotzdem Aufstehen! Ostern heißt: Das wird!
Also: Aufstehen!        
Amen
© Thomas Friedhoff