christlich & queer

Basisgemeinde MCC Hamburg

Unsere Geschichte 


Hamburg 1985Im Magnus-Hirschfeld-Centrum, einem Kommunikations-Zentrum für Lesben und Schwule, trifft sich im Mai 85 erstmals eine kleine Gruppe schwuler Christen. Ihre Fragestellung ist nicht: "Was können wir in den Kirchen ändern, damit wir uns dort wohler fühlen?" Stattdessen ist ihre Thematik, was sie als schwule Christen einander Gutes tun können. Viele Teilnehmer dieser neuen Gruppe sind es leid, sich weiterhin an den Widerständen der Kirchen gegen ihre Lebensweise wundzureiben. Natürlich fänden auch sie es erstrebenswert, wenn die Kirchen, aus denen sie kommen, sich so veränderten, dass schwules Leben dort möglich würde. Viele hatten sich vorher schon in innerkirchlichen Gruppen engagiert, dort für Veränderung gekämpft. Doch die Vorstellung, dass schwule Existenz in den Kirchen nichts weiter sein sollte als Kampf um das Recht, dort zu existieren, erschien nicht mehr sonderlich erstrebenswert...

So begann die Arbeit der "Basisgemeinschaft schwuler Christen" mit einer langen Phase gegenseitigen "Sich-die-Wunden-Leckens": sich die schlimmen Erfahrungen von Ausgegrenzt sein, Versteckspiel, Doppelleben, offener und verdeckter Diskriminierung zu erzählen, sich gemeinsam zu empören, sich aneinander aufzurichten. Bibelarbeit, theologische Exkurse, gegenseitige Seelsorge und vor allem das befreiende Gefühl, sich endlich einen Ort zu schaffen, an dem beides möglich sein konnte, schwul und Christ zu sein, führte zu einem Prozess, den viele als "aufrechten Gang wieder lernen" beschrieben.
Offen blieb lange Zeit die Frage nach einer "geistlichen Heimat". Wo konnte Gottesdienst gefeiert, wo Raum für die Spiritualität der Gruppe gefunden werden? Sollte man nicht doch probieren, den Weg in die bestehenden Kirchen zurückzufinden? Oder sollte die Gruppe vielleicht nach einer Kirche suchen, die Homosexualität akzeptierender gegenüberstand, um dort unterzukommen?

Es hat lange gebraucht und heiße Diskussionen gefordert, die Frage zu klären, was Kirche eigentlich zu Kirche macht. Kirche, so hatte man gelernt, sind altehrwürdige Institutionen, legitimiert z.B. durch apostolische Sukzession - irgendwie gab's die seit Petrus schon immer. Kirche ist höchstens 'mal reformiert worden. Auf jeden Fall ist sie alt, aufs Harmonischste mit dem Staat verbunden, kassiert Kirchensteuer und verfügt über große und staubige Dome. Dann gibt's da noch die Freikirchen, deren Existenzrecht auf irgendwelchen biblischen Wahrheiten basiert, die sie wieder zu Ehren gebracht haben.
Die Idee, dass Kirche sich aus der Gegenwart Christi legitimiert, die er dort verheißt, wo sich "zwei oder drei in seinem Namen" versammeln, war fremd. Die Vorstellung, dass die Gottesdienstexperimente der Basisgemeinschaft keiner weiteren Legitimation durch Priester, Bischöfe oder Landeskirchenämter bedurfte, entsprach nicht den Denktraditionen der Gruppenmitglieder. Doch sie lag auf ihrem Weg, selbstbewusst und eigenständig als schwule Christen, für sich selbst sorgen zu lernen. Und sie tat gut. So wurden ihre ersten, tastenden Gottesdienstversuche mehr und mehr zu dem "geistlichen Rahmen", den sie benötigten und durch den sie artikulieren konnten, wie selbstverständlich - unabhängig von irgendeiner Anerkennung durch die etablierten Kirchen - sie leben wollten und konnten.

Dass es etwas ähnliches, hauptsächlich in den USA schon gab, die Metropolitan Community Church (MCC), hatte sich nach Hamburg herumgesprochen. Doch was kann aus den USA schon Gutes kommen? Sich an einer Situation zu orientieren, wo jeder seine eigene Kirche aufmacht, wenn ihm die Nase seines Pastors oder die Form des Kirchengestühls nicht passt, war indiskutabel.
Dort in den USA war ein Pastor namens Troy Perry aus seiner Kirche ausgeschlossen worden, nachdem er sich zu seiner Homosexualität bekannt hatte. Eine Geschichte wie viele andere. Doch er war nicht zur Ruhe gekommen, vor allem durch viele Begegnungen mit Schwulen und Lesben, die sich als ausgestoßene Christen und Christinnen quälten. Die die gesamtgesellschaftliche Homosexuellendiskriminierung der 60er Jahre als gottgegeben akzeptierten. Die die gesellschaftliche Ächtung zur Basis für Selbstverachtung machten. Die sich nach dem Zuspruch der Liebe Gottes in Jesus Christus sehnten, sich aber gewiss waren, dass Gott sie ebenso ablehnte wie ihre Kirchen.

Je mehr sich solche Begegnungen häuften, desto deutlicher wurde Perry, dass das Evangelium keinen Anhalt bietet für die Ausgrenzung, Verachtung und Selbstverachtung Homosexueller. Dass die Gute Nachricht von Jesus Christus vielmehr von der befreienden Liebe Gottes zu allen Menschen, ohne Vorbedingung und ohne Ausnahme, spricht. Dass die sexuelle Orientierung eines Menschen ihn der Liebe Gottes nicht würdig oder unwürdig macht.
Dieser Gedanke lässt ihn nicht mehr los, der muss umgesetzt werden. Und wenn die Kirchen das nicht tun, dann tut er es eben selbst: 1968 lädt er zu einem Gottesdienst in sein Wohnzimmer, in Los Angeles, ein.
Zu diesem ersten Gottesdienst kommen 12 Leute zusammen. Und es entsteht die Idee der Gründung einer Kirche, die sich vor allem an Lesben und Schwule richtet. Sie soll den Namen Metropolitan Community Church tragen. "Metropolitan" für die "metropolitan area", den Großraum von Los Angeles, weil niemand sich vorstellen kann, dass diese Kirche jemals über Los Angeles hinauswächst. "Community" für die "Gay Community", die schwul-lesbische Gemeinschaft, als wichtigste Zielgruppe. Und "Church", Kirche heißt das Ganze, weil man sich in den USA erheblich leichter tut, als in Deutschland, mit der Gründung neuer Kirchen.
Diese Idee einer Kirche, die die befreiende Gute Nachricht von Jesus Christus für Lesben und Schwule verkündigt, feiert und lebt, fasziniert, und im Zusammenhang mit der gerade aufkeimenden Lesben- und Schwulenbewegung entstehen in kurzer Zeit überall in den USA Gemeinden der MCC.

Soweit so gut, aber dennoch war es in Hamburg nicht vorstellbar, mit dieser MCC etwas zu tun zu bekommen. Irgendwie hatte sich dort die Idee von MCC als einer Mischung aus Tuntenbarock und Pfingstgemeinde festgesetzt. Darüber hinaus erschien die Vorstellung einer "schwul-lesbischen Ghettokirche" doch sehr kalifornisch, also theologisch eher anstößig.
Das Umdenken begann mit dem Kennenlernen von Vertretern der MCC und dem, was sie zu berichten hatten: Da sei eine Kirche entstanden, die eben nicht, wie befürchtet, einen evangelikal- charismatischen Abklatsch auf schwul-lesbisch darstellt. Stattdessen - wurde der Basisgemeinschaft erzählt - findet sich in der MCC eine große Spannbreite all dessen, was in der Ökumene geglaubt und praktiziert wird. Verschiedene Hintergründe, aus denen Menschen in die MCC kommen, werden ernst genommen, der Reichtum und die Buntheit verschiedener Traditionen gepflegt. Dementsprechend gibt es charismatisch orientierte MCC-Gemeinden, doch genauso befreiungstheologisch inspirierte, fundamentalistische, hochkirchliche, liberale, calvinistische usw. Statt eines Lehramtes oder eines von oben diktierten Dogmas wird der Streit, die Auseinandersetzung, über theologische Fragen gepflegt. Satt eines christlich eingefärbten American way of life, der allen Gemeinden verordnet wird, funktioniert die MCC als Bund unabhängiger Ortsgemeinden (ungefähr 260 weltweit), der eine schillernde Buntheit und Vielfalt produziert.

Und wenn Schwule und Lesben auch die Mehrheit der Gemeindemitglieder stellen, ist die MCC doch keine homosexuelle Kirche. Es wäre ja auch absurd, wenn die heimliche Exklusivität der etablierten Kirchen einfach umgedreht würde, und statt heterosexueller Zugangsbeschränkungen homosexuelle errichtet würden. Stattdessen wird ernst genommen, dass die Gute Nachricht der Liebe Gottes allen Menschen gilt. Dementsprechend haben in den vergangenen 20 Jahren viele Heterosexuelle oder Menschen mit ganz anderen sexuellen Orientierungen ihren Weg in die MCC gefunden. In vielen Gemeinden wachsen Kinder auf. Nicht die Schaffung einer in sich geschlossen Homowelt ist die Perspektive der MCC, sondern die Integration all dessen, was unterschiedlichste Menschen in diese Kirche einbringen.

Bleibt die Frage nach dem Ghetto und wie vertretbar die Gründung einer Kirche dort ist. Spalten Homosexuelle sich damit nicht ab? Zementieren sie dadurch nicht das Ghetto? Natürlich ist diese Gefahr gegeben. Doch haben Lesben und Schwule sich ihren Ort im Ghetto nicht selbst ausgesucht, sondern sind dorthin gedrängt worden. Die kritische Frage nach Abspaltung ist bei ihnen an die falsche Adresse gerichtet. Und so ehrenwert und richtig die schwul-lesbischen Versuche sind, das Ghetto zu überwinden, sich den Platz, der ihnen zusteht, in der Mitte, und nicht am Rand der Gesellschaft zu erkämpfen, stellt sich doch die Frage nach der Ausschließlichkeit und Effizienz dieser oft als absolut verstandenen Strategie: Dieser Weg ist steinig, viele Menschen überstehen ihn nicht, andere resignieren, weil seine kurz- und mittelfristigen Erfolgsaussichten dermaßen gering sind. So empfiehlt sich die Alternative - das Ghetto, in das Lesben und Schwule gedrängt wurden, als Ort zu nutzen, an dem sie ihr Selbstbewusstsein stärken. Die gesellschaftliche Isolation des Ghettos als Ort, an dem sie sich ihrer Eigenheiten, ihrer Kraft, ihrer Kreativität bewusst werden. Ein Ort, an dem die Buntheit und die Dynamik schwul-lesbischen Lebens wächst und so anziehend wird für den Rest der Welt, könnte ja dazu führen, gesellschaftliche Dynamik zu verändern, könnte die Frage neu stellen, wo Mitte und wo Rand einer Gesellschaft sind. Auf jeden Fall kann er dazu dienen, sich dort zu erholen und neu gestärkt in den Kampf um die Anerkennung schwul-lesbischer Rechte ziehen.
So zumindest gestaltete sich der Weg der MCC in den USA: Dort war nicht die gemütliche Ghettokirche entstanden, in die Schwule und Lesben entsorgt werden konnten und endlich Ruhe gaben. Vielmehr war diese neue Kirche einer der wichtigsten Motoren der sich entwickelnden Schwulen- und Lesbenbewegung.
Das klang gut. So gut, dass man sich in Hamburg entschloss, die MCC leibhaftig kennen zu lernen. Erzählen konnte man ihnen viel, doch die Leute aus der schwulen Basisgemeinschaft wollten wissen, wie das real und in Europa funktionierte.

Was sie dann in London erlebten, war überzeugend: Da trafen sich Schwule und Lesben in aller Selbstverständlichkeit zum Gottesdienst ihrer Kirche. Hier musste sich niemand verstecken, weil er schwul, weil sie Christin, weil er hetero-, weil sie transsexuell war.
Zu einer besonders beeindruckenden Begebenheit wurde eine kleine Randgeschichte: Die klassische Art, wie viele schwule Männer sich ausdrücken, nennen Insider-Kreise "tucken". Nun gab es in einer Hamburger Kirchengemeinde einen schwulen Pastor, mit einem großen Freundeskreis. Und für etliche seiner schwulen Freunde gehörte es zu den nettesten Sonntagvormittagsvergnügen, bei ihm im Gottesdienst aufzukreuzen, und darauf zu lauern, wann und wie er trotz aller Bemühungen, es zu unterdrücken, irgendwann unweigerlich zu tucken begann. Und hinterher das Gejuchze - der Pastor, peinlichst berührt, mit knallroten Ohren - "hat er wieder am Altar getuckt, das gehört sich doch nicht. Ts, ts, ts..." Er konnte sich so viel Mühe geben, wie er wollte, und er gab sich Mühe, es war richtig anstrengend; seine nun 'mal schwul getönte Art, sich zu bewegen, sich zu artikulieren ließ sich nicht völlig wegdrücken. Er tuckte halt, ob er wollte oder nicht.

In der Nord-Londoner MCC-Gemeinde betrat der damalige Pastor, Hong Tan, die Kanzel - und tuckte. Seine Predigt war schlicht und wohltuend. Die Gute Nachricht der befreienden Liebe Gottes zu allen Menschen - verkündigt von einem eindeutig schwulen Mann, der sich auch nicht ansatzweise Mühe gab, dies zu verstecken. Hier wurde keine Show abgezogen. Hier trimmte sich kein Schwuler auf Hetero, genauso wenig wurde hier ein christlicher Käfig voller Narren veranstaltet. Hier war jedeR was er/sie war und das war in Ordnung so.
Diese Predigt, von einem eindeutig schwulen Mann vorgetragen, war überaus eindrücklich: Das Evangelium von Jesus Christus, das befreiende Ja der Liebe Gottes in aller Ernsthaftigkeit verkündigt - mit allem Charme, der Schwulen zur Verfügung steht. Und für niemanden war Hongs Tucken ein Stein des Anstoßes, etwas das er hätte verstecken oder kaschieren sollen. Allein die Idee, er hätte sich anstrengen sollen, um seine Art zu verbergen, wäre völlig absurd gewesen. Das war er, das war charmant, das war seine schwule Art, sich zu artikulieren. Das war gut so.
Das war es, was die Hamburger Gruppe sein wollte, Gemeinde, in der in aller Selbstverständlichkeit beides möglich sein konnte: die sexuelle Orientierung, wie immer sie sein mag, an- und ernst zu nehmen, genauso wie das Christsein. Und klar zu haben, das ist Kirche.

Am 11.9.88 wurde der erste Gottesdienst als "Basisgemeinde / MCC-Hamburg" gefeiert, der "Kirche (nicht nur) für Lesben und Schwule". Nun war die Selbstdefinition klar. Was als große Herausforderung folgte, war, diese Definition umzusetzen. Statt als Schwulengruppe Kirche zu spielen, Gemeinde Jesu Christi zu gestalten. Eine der zentralen Fragen, an der sich der Unterschied zwischen einer ausschließlich zielgruppenorientierten Gruppe von Christinnen und Christen und Kirche festmacht, ist, ob Inklusivität gelingt oder nicht. Ob die Gruppe oder Gemeinde die Einladung Gottes an alle Menschen widerspiegelt, oder ob dort eine exklusive, geschlossene Binnenwelt entsteht. Eine der dramatischsten Herausforderung in diesem Zusammenhang war für die Hamburger MCC der Übergang von einer Schwulengruppe zu einer Gemeinde, in der als Minimum das Zusammenleben von Lesben und Schwulen gelingen sollte. Trotz aller ähnlichen Betroffenheit, trotz aller identischen Diskriminierung, ist die Zusammenarbeit zwischen Lesben und Schwulen generell ein mühsames Geschäft. Irgendwie scheinen Lesben für Schwule und Schwule für Lesben sehr viel von dem darzustellen, was die jeweiligen Gruppen vehement ablehnen. Allzu oft stehen beide Parteien einfach fassungslos vor dem Verhalten der anderen, um dann zum wiederholten Male festzustellen, dass Zusammenarbeit vielleicht einer politischen Notwendigkeit entspricht, aber eigentlich unmöglich ist.

Nachdem die erste Begeisterung verflogen war, bildeten sich in der MCC Hamburg die Fronten: "Da placken wir Schwule uns jahrelang mit dem Aufbau einer Gruppe ab, die als Basis für die MCC dient, öffnen uns dann (huldvoll) den Lesben, doch kaum tauchen die ersten Frauen auf, geht das Generve los. Dies ist patriarchalisch, das ist frauenverachtend, da habt ihr die weibliche Endung mal wieder ausgelassen..." - "Erst heißt es, hier sollen neue Weg der Zusammenarbeit von Lesben und Schwulen gefunden werden, und dann läuft doch nichts anderes als die gewohnte Männerdominanz. Wir Frauen stellen doch hier nichts weiter als Dekoration dar, damit ihr euer christliches Integrationsgewissen beruhigen könnt..."

Es war schwer für die Männer, zu begreifen, welch einen Angang es für die Frauen darstellte, sich in einem jahrtausendelang patriarchalisch geprägten Rahmen zu bewegen. Z.B. diese Sprache zu hören oder gar mitzusprechen, die Frauen völlig ignoriert. Das zu verstehen und sich zu bemühen, andere Sprachformen zu finden, war eine Sache; also klar zu haben und das auch zu formulieren, dass z.B. nicht nur "die Brüder" zum Abendmahl geladen sind oder nicht nur jedem (sondern auch jeder) die Vergebung gilt. Es war zwar mühsam, sich an solche Veränderungen eingeschliffener Sprachgewohnheiten zu gewöhnen, doch das war schon in Ordnung so. Eine ganze andere Sache war es dann allerdings, sich damit auseinanderzusetzen, was für Frauen z.B. die Anrede Gottes - "Herr" - bedeuten kann. Wie viel Bedrohung darin liegt, Gott dieser schrecklichen Sphäre der "Herren" zuzuordnen, die vergewaltigend und missachtend diese Welt regieren. Oder sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass die Dreieinigkeit als "Männergesellschaft" beschrieben wird: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist...

Das Ringen der Basisgemeinde um neue Formulierungen dieses Kalibers ging an die Substanz. Denn wenn auch die Köpfe zustimmten, dass solche Beschreibungen Gottes männerlastiger Ballast waren, rebellierten doch die Bäuche. Schließlich wurden hier Sprachbilder in Frage gestellt, die ein Zuhause darstellten. Die Frömmigkeit der meisten Gemeindeglieder hatte sich immer schon in solchen Bildern ausgedrückt. Wie sollte man das über Bord werfen, ohne hinterher frierend im Regen zu stehen? Viele Männer gerieten in Panik dabei, dass ihnen vertraute und liebgewordene Formulierungen angekreidet werden sollten. Viele Frauen verloren die Fassung über der Unbeweglichkeit und dem Festhaltenwollen etlicher Männer.
Es hat Zeit gebraucht, zu realisieren, dass z.B. der Verzicht auf die Anrede "Herr" für Gott, nicht nur für die Frauen heilsam war. Auch den Männern hat es gut getan, sich daran zu gewöhnen, den brüderlichen, freundlichen, liebenden Gott, anstelle des herrschenden Herrn wahrzunehmen und zu benennen. dass die Integration von Lesben und Schwulen in der MCC-Gemeinde mittlerweile auf einem guten Weg ist - trotz aller Klippen - und von niemandem mehr gemisst werden will, mag daran liegen, dass Unterschiedlichkeit als Geschenk, als Herausforderung, und nicht als Zumutung begriffen wurde. Wenn die Liebe Gottes meiner Schrägheit und Begrenztheit gilt, wenn ich lerne, mein So-sein-wie-ich-nun-mal-bin zu bejahen, wie ich von Gott bejaht bin, dann bin ich gleichzeitig gefordert, die Andersartigkeit des/der anderen genauso annehmen zu lernen. Diese Prämisse hat sich über alle Pannen und Probleme, über alles anfängliche Unverständnis hinweg durchgesetzt und bewährt.

Die Herausforderung, Anderes, Fremdes zu integrieren stellt sich nicht nur zum Thema Schwule und Lesben: Genauso gilt es, unterschiedliche Frömmigkeitsstile, Gottesdiensttraditionen, Heteros, Transsexuelle u.v.a.m. zu integrieren. Letztlich bringt jeder neue Mensch eine komplette neue Welt mit in die MCC, die ihr Recht auf Verwirklichung hat, wie alle anderen auch. Die Gemeindeglieder, -Freundinnen und -Freunde mühen sich daran und stellen gleichzeitig immer wieder fest, wie sehr sie beschenkt werden, wenn sie Neues und Fremdes wertschätzen können.
Inzwischen ist in Hamburg vieles selbstverständlich geworden: Der sonntägliche Gottesdienst z.B. in dem die Gute Nachricht von Jesus Christus in einer Art verkündigt und gefeiert wird, die verschiedene Lebensstile, sexuelle Orientierungen und Traditionen willkommen heißt. Viele MCClerInnen haben sich so daran gewöhnt, aufrecht und selbstbewusst schwul oder lesbisch z.B. in ihrer Kirche zu leben, dass die traditionellen Positionen von Kirchen zu Homosexuellen wie schlechte Schauermärchen klingen.
Oder die Arbeitsgruppen, in denen nicht zur Debatte steht, wie homosexuelle Christinnen und Christen sich Lebensraum und Existenzrecht in den Kirchen erkämpfen können, sondern wie sie die Botschaft von der Bejahung in Christus, die sie erfahren haben, vor allem in die schwul-lesbische Welt hinein vermitteln können. Viele haben schlimme Erfahrungen gemacht, auf ihrem Weg, sich als Lesben oder Schwule annehmen zu lernen. Viele haben die Verneinung, die ihnen entgegengebracht wurde, so sehr internalisiert, dass sie sich selbst verneinen, und ihren Selbsthass auf andere Lesben und Schwule projizieren. Da gerade Kirchen eine verhängnisvolle Rolle spielen in diesem Prozess, sich selbst verachten zu lernen, sind die meisten kaum bereit, noch einmal hinzuhören, ob aus dieser Ecke nicht vielleicht doch etwas anderes kommen könnte. Schließlich wurden (und werden) dort die dicksten Knüppel geschwungen. Die Vorstellung der MCC, dass das Evangelium von Jesus Christus, die Bejahung durch die Liebe Gottes, helfen kann bei dem Ringen, der Selbstverachtung zu entkommen, erscheint vielen völlig abwegig. Dementsprechend mühsam fallen die Versuche aus, die Gute Nachricht in die Welt der Lesben und Schwulen hinein zu übersetzen. Der große Durchbruch ist der Hamburger MCC dabei bislang noch nicht gelungen, der wird ihr wohl so schnell auch nicht gelingen, sie arbeitet aber weiter daran...

Etliche Gemeindeglieder und Freunde sind HIV-positiv oder haben AIDS. Bislang hat die MCC Hamburg keine großen Programme zum Thema AIDS entwickelt, auch hatte sie bisher nicht viel Schlaues dazu zu sagen, das man zu Hochglanzfaltblättchen hätte verarbeiten können. Stattdessen hatte und hat man/frau dort alle Hände voll zu tun bei dem Versuch, betroffene Freunde mit dem Leben in Verbindung zu halten. Oder, wenn es denn soweit war, ihr Sterben zu begleiten. Es sind keine anonymen Schatten, die es erwischt hat. Es sind keine grauen Zahlen, über die sich Statistiken anlegen ließen, auch keine Fälle, über die zu theoretisieren wäre. Es sind Freunde, Brüder und Schwestern die die von dieser grauenhaften Krankheit betroffen sind. Und die MCCler und MCClerinnen versuchen, einfach da zu sein, da zu bleiben, weiter mit ihnen zu leben und sie zu versorgen.
Und was ist aus den Menschen vom Anfang dieses Berichtes geworden?

* Als Peter in die Hamburger MCC kam, wäre er vor peinlicher Berührtheit beinah im Boden versunken. Er hatte vorher noch nie erlebt, dass Schwule und Lesben einfach schwul und lesbisch waren und damit basta. Und dann auch noch Christen und Christinnen. Es hat nächtelanger Gespräche bedurft, über die entsprechenden Bibelstellen, über das, was er bislang geglaubt hatte, was man ihm beigebracht hatte usw., bis er sich ein wenig zu lockern begann. Dann seine Fragen zum Lebensstil der andern: "Also wenn schon schwul, dann doch bitte nicht so auffällig. Dieses Getucke bei den Männern und diese Kampflesben - entsetzlich. Schwule Szenekneipen - da gehe ich doch nicht hin. Was, der lebt promisk, und der will Christ sein, der wechselt dauernd die Partner, und ihr tut da nichts gegen??" usw. usw. Es hat lange gedauert, bis Peter in der Lage war, sich als schwul zu akzeptieren. Und noch länger bis er vermochte, Lebensstile, die nicht dem seinen entsprachen, stehenzulassen, ohne sie an seiner Moral zu messen. Doch das, was er als Evangelium in der MCC hörte, kam ihm bekannt vor, das war nicht verdreht und nicht verkürzt, das war die Gute Nachricht von Jesus Christus. Nur - anders als bisher - auf ihn bezogen. Die Liebe Gottes meinte ihn mit. Genauso wie er war, mit allem Drum und Dran, einschließlich seiner sexuellen Orientierung. Dieses Evangelium annehmen zu lernen, bedeutete sich selbst annehmen zu lernen. Peters Wurzeln in der evangelikalen Tradition sind unverkennbar. Er ist "fromm", doch er hat aufgehört, gegen sich selbst zu kämpfen. Er hat sich mit sich selbst versöhnt. Er kann endlich leben, ohne seine Energien im Ringen mit sich selbst und seiner Homosexualität zu vergeuden.

* Karin und Maike haben sich voll in die Gemeindearbeit der MCC geworfen. Schon nach kurzer Zeit waren sie zu "Säulen der Gemeinde" geworden. Sie erstellten den Gemeindebrief, Karin war zur Vorstandsvorsitzenden gewählt worden. Maike leitete die Frauengruppe, die sie gemeinsam initiiert hatten. Es gab keine Aktion der Hamburger MCC, an der sie nicht maßgeblich mit beteiligt gewesen wären. Sie hatten mit der MCC eine neue Gemeinde gefunden, in der sich engagieren konnten, wie früher. Also alles wie gehabt, nur unter neuen Vorzeichen? Das wäre schon viel gewesen, doch den beiden geschah noch etwas anderes: Bislang war ihr Lesbisch-Sein eine reine "Privatangelegenheit" gewesen. Was sie von der Gesellschaft erhofft hätten, wäre nichts weiter gewesen, als dass man ihnen eine Nische gegönnt hätte, in der sie unbehelligt leben konnten... Der selbstverständliche, bejahende Umgang mit Lesbisch-Sein, dem sie in der MCC begegneten, und die Offenheit anderer Lesben, die sie kennen lernten, eröffnete ihnen völlig neue Perspektiven. Nach anfänglicher Skepsis begannen sie sich mit Frauenliteratur und mit feministischer Theologie zu befassen, die Frauenszene für sich zu entdecken. Sie fingen an, zu realisieren, was über ihr individuelles Schicksal hinaus generelles Frauenschicksal war. Dass sie nicht nur Pech gehabt hatten in christlichen Zusammenhängen, die ihnen ihr kleines Glück nicht gönnen wollten, sondern dass sie grundsätzlichen, strukturellen Problemen von Männerherrschaft begegnet waren. Dass es nicht genügen konnte, ihre kuschelige Beziehung in einem Schonraum zu leben, sondern dass sie gefordert waren, mit dafür zu kämpfen, das generelle Unrecht zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Das hatte in ihrer Umwelt - also auch in ihrer Gemeinde, der MCC - zu beginnen. Und schließlich war ihre Gemeinde gefordert, sich auch gesamtgesellschaftlich mit in diese Auseinandersetzung zu begeben. Oft ging ein Stöhnen durch die MCC: Wie lieb und bequem waren die beiden doch zu Anfang gewesen, als sie sich einfach (in bester Diakonissenart) engagierten, und wie nervig konnten sie jetzt sein, wenn sie dauernd den Männern an den Karren fuhren. Doch sie hatten Recht, in dem, was sie bei den Männern anmahnten, und in den Forderungen, die sie an die Gemeinde stellten. Ohne sie und ohne ihre Bereitschaft, sich nicht mehr nur mit ihrem privaten Glück zufrieden zu geben, hätte die Männermehrheit der MCC wohl nie verstanden, wie wunderbar patriarchal man sich auch als Schwuler verhalten kann. Gut getarnt, aber trotzdem völlig daneben.

* Peer und Martin haben das Fest ihres Lebens gefeiert: Ihre Partnerschaftssegnung. Bei dem festlichen Gottesdienst platzte der Saal aus allen Nähten. Nicht nur die MCC-Gemeinde war komplett dabei, auch ihre Arbeitskolleginnen und -Kollegen, ihre Verwandten Freunde und Freundinnen waren eingeladen, dabeizusein wie sie sich noch einmal feierlich zueinander bekannten. Alle, mit denen sie zu tun hatten, sollten zur Kenntnis nehmen, dass sie zueinander gehörten und ihr Leben miteinander teilen wollten. Die Menschen, unter denen sie lebten, sollten hören, dass Peer und Martin ihren Schutz und ihre Liebe für ihre Beziehung brauchten. Alle waren eingeladen, mit ihnen zu beten und das Geschenk ihrer Beziehung mit zu feiern. Die Fete nach dem Gottesdienst hatte beinah 6 Wochen Vorbereitungszeit und die Energien etlicher Gemeindeglieder gekostet - doch es hat sich gelohnt: Es war ein rauschendes Fest. Ein Fest des Lebens gegen alle Todesdrohungen, mit denen sie sonst zu leben haben. Sollen die Theologen und Oberlandeskirchenräte sich die Zeit nehmen, die sie brauchen, um die Frage nach trauungsähnlichen Handlungen für Homosexuelle zu diskutieren. Peer und Martin haben diese Zeit nicht. Was die beiden brauchten, war ein Fest ihrer Liebe und des Lebens, als Lichtblick in ihrem Kampf mit Krankheit und Sterben. Dieses Fest haben sie bekommen.

* Carola hat das Dokument nicht unterschrieben, das ihr den Weg ins Pastorat gebahnt hätte. Sie hat sich nicht verkrümmen lassen. Gefordert, sich zwischen ihrer Identität und einer gesicherten Existenz zu entscheiden, hat sie sich für ihre Identität entschieden. Einfach war das nicht; denn was ist mit einem Theologiestudium auf dem Arbeitsmarkt schon anzufangen? Nichts. Carola verdient heute ihr Geld in der ambulanten Altenpflege. Ihre pastoralen Fähigkeiten - und die sind beträchtlich - setzt sie als assistierende Pastorin in der Hamburger MCC ein. Ehrenamtlich, noch ist die Gemeinde zu klein, um ihr ein Gehalt zahlen zu können. Aber groß genug, dass Carola alle Hände voll zu tun hat, ist sie allemal - Seelsorge, Arbeitsgruppen, Gottesdienste leiten, predigen, Krankenbesuche... Dann gibt es da noch neue Ansätze von MCCs in anderen Städten und damit weite Betätigungsfelder für Carola und viele andere, die sich vorstellen können, in dieser Kirche zu arbeiten. Einer Kirche, die ihren Pastorinnen und Pastoren keine Beamtengehälter und -Existenzen bieten kann, dafür aber eine faszinierende Aufgabe: Die Gute Nachricht von Jesus Christus, die Nachricht von der bejahenden Liebe Gottes in die Welt der Lesben und Schwulen hineinzusagen. Und zu erleben, was diese Nachricht dort bewirkt: Aufatmen, Selbstannahme, befreites Leben...

Muss das sein, diese MCC? Nein, sie müsste nicht sein, wenn das Evangelium von der Liebe Gottes zu allen Menschen nicht traditionell verkürzt würde zur Belästigung der "Normalität" der Mehrheit. Solange die etablierten Kirchen Lesben, Schwulen und anderen Minderheiten allerdings nichts anderes bieten als den Kampf um ihr Existenzrecht, muss sie sein, die MCC. Als Ort, an dem die Bejahung in Christus für alle Menschen Gestalt gewinnt.

Quelle: P.Thomas Friedhoff aus „Was auf dem Spiel steht - Diskussionsbeiträge zu Homosexualität und Kirche" Kittelberger, Heilig-Achneck, Schürger (Hg.), München 1993

Gegenwart
Die Geschichte unserer Gemeinde ist eine junge und lebendige Geschichte: Sie begann 1985 als "Basisgemeinschaft schwuler Christen" durch Thomas Friedhoff, der die Gemeinde bis 2020 als Pastor aufgebaut und geleitet hat. 1988 erfolgte der Anschluss an die MCC, der "Metropolitan Community Church", deren Geschichte 1968 in der queeren Bewegung der USA begonnen hatte. MCC-Gemeinden gibt es mittlerweile überall auf der Welt.

 Nach vielen Jahren in einer Büroetage am Steindamm hat unsere Gemeinde 2020 ein neues Zuhause in der Frohbotschaftskirche in Hamburg-Dulsberg gefunden.


 

Hamburger Morgenpost, Februar 1992:

Verein vermietet Räume an „Kirche für Lesben und Schwule"
Der „Christliche Verein junger Menschen“ (CVJM) in Hamburg vermietet seine Räume an die „Kirche für Lesben und Schwule". Jeden Sonntag feiert die „Metropolitan Community Church" (MCC) ihre Gottesdienste im CVJM-Heim An der Alster 40. „Ich glaube, Gott liebt Schwule ge­nauso wie Heteros", begründet Hamburgs CVJM-Geschäfts­führer Frank Tofern seine Zustimmung. Bestürzt reagierte der CVJM-Gesamtverband Kassel: Homosexua­lität sei eine Fehlentwicklung" und mit der biblischen Botschaft nicht vereinbar.
„Die MCC ist eine Christliche Kirche, gegründet 1968 in den USA, um Menschen, die in anderen Kirchen diskriminiert wer­den, eine geistliche Heimat zu bieten", erläutert MCC-Pastor Thomas Friedhoff. In Hamburg leben nach seiner Schätzung etwa 160.000 Ho­mosexuelle.

Doch ihr neues Heim in den CVJM-Räumen ist innerhalb des CVJM umstritten. Presse­sprecher Reinhart Weiss be­trachtet Homosexualität nicht nur als Fehlentwicklung", sondern glaubt auch zu wissen, dass Homosexuellen geholfen werden könne, in dem man sie „behutsam von ihrer Neigung abbringt“.
Eine Einstellung, die viele Hamburger Pastoren nicht teilen. Pastorin Angela Rosenthal-Beyerlein (Apostel­kirche-Eimsbüttel) etwa sieht im Homosexuellen-Gottes­dienst keinen Konflikt: „Wir müssen die Bibel aus heutiger Sicht interpretieren."
Der Altonaer Pastor Axel Braun bedauert, dass Gleich­geschlechtliche eine eigene Kirche bilden müssen: „Sie könnten auch in der traditio­nellen Kirche ihren Platz finden.“
„Auch heute noch werden homosexuelle Pastoren dis­kriminiert und mit Berufs­verboten bedroht", sagt MCC-Pastor Friedhoff. Selbst wohlmeinende Seel­sorger der traditionellen Kir­chen seien oft mit den Proble­men von Lesben und Schwu­len (Sexualität, Partner­schaft, Aids) überfordert.
Repressalien gegenüber Homosexuellen seien „durch nichts zu rechtfertigen", stellte Friedhoff fest. Auch im CVJM gebe es homosexuelle Menschen, die die MCC-Gottes­dienste besuchten, erklärte er. Für Beate Ebert (31), So­zialarbeitern) und Lesbe, aus einer traditionellen Kirche wegen ihrer Neigung hinausgeworfen: „Die MCC erlaubt mir erstmals, mich zu meinem Lesbensein zu bekennen.“

 

TAZ, Februar 1992

Gott liebt Schwule genauso wie Heteros", lobpreisen die Gastgeber / CVJM-Zentrale wirft den Hamburgern mit der „biblischen Botschaft gegen Homosexualität" einen Fehdehandschuh vor die Füße
Die Hamburger „Kirche für Lesben und Schwule" feiert seit letz­tem Sonntag ihre Gottesdienste in den Räumen des Christlichen Ver­eins junger Menschen (CVJM) an der Alster. Die Homosexuellen-Gemeinde mit ihren 80 Schäfchen wurde 1988 von dem ehemaligen Baptisten Pastor Thomas Friedhoff (35) ins Leben gerufen - als Antwort auf die Ausgrenzung der großen Kirchen. Sie ist die einzige deut­sche Niederlassung der „Metropo­litan Community Church" (MCC), die 1968 in den USA gegründet wurde. Weltweit zählt sie 40.000 Mitglieder in 260 Gemeinden.
„Wir möchten Lesben und Schwule mit der befreienden guten Nachricht von Jesus Christus ver­traut machen", definiert Friedhoff sein Anliegen. Damit die Nachrich­tenverbindung zu den etwa 160 000 in Hamburg lebenden Homosexuel­len zustande kommt, will seine Kir­che so dicht wie möglich bei ihren potentiellen Schäfchen sein - im Stadtteil St Georg, wo sich das schwul­lesbische Leben schwer­punktmäßig abspiele. Deshalb ist sie aus ihren bisherigen Räumlich­keiten im Winterhuder „Magnus-Hirschfeld-Centrum" ausgezogen.
Für die schwullesbische Mission stellte der Christliche Verein jun­ger Menschen sein Haus an der Al­ster aus freien Stücken zur Verfü­gung. „Ich glaube, daß Gott Schwule genauso liebt wie Hete­ros", begründete CVJM-Geschäftsführer Frank Tofern (35) die Entscheidung. Kirchliche Repressa­lien gegenüber homosexuellen Menschen seien „durch nichts zu rechtfertigen" Gleichgeschlechtlich Liebende, die die MCC-Gottesdienste besuchen, gibt es nach sei­nen Werten auch im CVJM.
Auf Unverständnis stieß die frohe Botschaft 300 Kilometer wei­ter südlich beim CVJM-Gesamtverband in Kassel. „Wir wissen uns der biblischen Botschaft verpflich­tet und betrachten deswegen Ho­mosexualität als Fehlentwicklung", erklärte Pressesprecher Reinhart Weiss. Wie Erfahrungen zeigten, könne Homosexuellen geholfen werden, indem man sie „behutsam von ihrer Neigung abbringt".
Wenn der sexualpädagogische Zeigefinger nicht mehr ausreicht, droht die CVJM-Zentrale mit der Peitsche. Sie fordert, offen homo­sexuell lebende Christen durften nicht als Beschäftigte im CVJM an­gestellt werden. Das verriet Klaus Martin Janssen, Bundessekretär des CVJM-Nordbundes in Hamburg.
Einem Konflikt angesichts dieser Gegenpositionen sehen die CVJM-Nordlichter „mit Gelassenheit entgegen", so ihr Geschäftsführer Frank Tofern. Der CVJM Hamburg sei als eingetragener Verein „finanziell und organisatorisch unabhängig".

Der Spiegel, Juli 1995

Die Metropolitan Community Church gewährt Schwulen und Lesben religiöse Zuflucht.
Wir lieben Menschen, grad' weil sie anders sind", singen 30 Män­ner und 5 Frauen. Beim Refrain, einem inbrünstigen Hal-le-lu-ja, beugt sich Thomas Friedhoff, 39, zu seinem Freund und drückt ihm einen Kuss auf die Lippen. Als er sich wieder aufrich­tet, wird an seinem schwarzen Hemd ein Priesterkragen sichtbar. Friedhoff geht in die Mitte des Saals und sagt: „Im Na­men Gottes, der uns Vater und Mutter ist."
Friedhoff ist Pastor der Kirche für Schwule und Lesben in Hamburg. Wie jeden Sonntagabend feiert die „Metro­politan Community Church" (MCC) im CVJM-Haus an der Alster ihren Gottes­dienst. Die Idee einer eigenen Kirche für Homosexuelle findet immer mehr Anhänger: In Köln hat sich ebenfalls ei­ne Gemeinde gebildet, und auch in Frankfurt wirbt ein MCC-Aktivist um Brüder und Schwestern für eine neue Gruppe.
Der von seiner Kirche gefeuerte schwule Pastor Troy Perry hatte 1968 in Los Angeles die erste MCC-Gemeinde gegründet. „Metropolitan" steht für den Großraum Los Angeles, „Community" für die Gemeinschaft der Gays. Inzwi­schen gibt es in 14 Ländern mehr als 288 MCC-Gemeinden. Die größte, in Dal­las, hat für 3,5 Millionen Dollar eine ei­gene Kirche gebaut, die „Kathedrale der Hoffnung". Vor dem Altar, einem Winkel aus rosa Marmor, versammeln sich sonntags bis zu 1400 Gemeindeglie­der.
Zur Hamburger Gemeinde gehören rund 100 Lesben und Schwule, davon sind 25 feste Mitglieder. „Wir wollen ei­ne Kirche, in der wir mehr sind als gera­de noch geduldete Seelsorgeempfän­ger", sagt Friedhoff. 60 Prozent der Hamburger MCC-Mitglieder, schätzt er, waren in einer anderen christlichen Kirche, bevor sie zur schwulen Basisge­meinde kamen.
Friedhoff gelangte über die Jesus-People zu einer Baptisten-Gemeinde und studierte Theologie. Als er sich während der Vorbereitungszeit aufs Pfarramt outete, stellte der Gemeinde­vorstand ihn vor die Alternative: kündi­gen oder gekündigt werden. „Und ich war damals so blöd, selbst zu gehen", sagt Friedhoff heute.
Ein Drittel der Hamburger MCCler kommt wie ihr Pastor aus evangeli­schen, meist fundamentalistischen Frei­kirchen, die Homosexualität schlicht zur Sünde erklären. Folglich haben Lesben und Schwule in ihren Reihen keine Chance, akzeptiert zu werden.
Obgleich sich in den evangelischen Landeskirchen viele Theologen und Lai­en für sexuelle Minderheiten stark ma­chen, fehlt der in manchen Gemeinden praktizierten Liberalität noch immer der kirchenamtliche Segen. Die evangeli­schen Bischöfe von Hamburg, Schleswig und Lübeck etwa wenden sich in einem Konsenspapier zwar gegen die Diskrimi­nierung Homosexueller in der Gesell­schaft. Für ihre Gemeinden aber gelten andere Regeln: „Das Zusammenleben homosexueller Paare im Pastorat ist mit der Leitbildfunktion des Pastors oder der Pastorin nicht vereinbar."
Ob sich das oberkirchenrätliche Den­ken noch vor dem Jüngsten Tag ändert, ist fraglich. Die MCCler sind es leid, in den großen Kirchen immer wieder die Frage diskutieren zu müssen, ob Homo­sexualität mit christlicher Ethik zu ver­einbaren sei. Sie möchten jetzt schon schwul und gläubig sein und sich dafür nicht ständig rechtfertigen müssen. „Wir wollen ein Netzwerk zur Selbsthilfe sein", sagt Friedhoff.
Den Apostel Petrus, der im See Genezareth zu versinken droht, vergleicht er mit dem Schwulen, den Freunde und Kollegen nach dem Coming-out fallen­lassen. „Ich fühle mich wohl in unserer Ghettokirche", sagt Frieder, der im Gottesdienst Gitarre spielt. Im Ghetto gibt's kein kunsthistorisch wertvolles Kreuzrippengewölbe und keine majestä­tische Orgel, aber Nestwärme. Bei Got­tesdiensten im CVJM-Saal oder im Frei­en dient ein Tisch, geschmückt mit ei­nem gebatikten Regenbogen, als Altar. Zum Abendmahl wird Traubensaft aus einem Steingutbecher kredenzt.
Pastor Friedhoff ist mit 14 Wochen­stunden angestellt. Sein Gehalt, das sich nach dem Tarif des Öffentlichen Dien­stes für Sozialarbeiter bemisst, kommt aus Spenden und freiwilligen Mitglieds­beiträgen zusammen. Halbtags arbeitet Friedhoff beim Hamburger Aids-Prä­ventionsprojekt „Hein & Fiete". Seit sich dort herumgesprochen hat, dass er Pastor ist. „nehmen mich schon mal Jungs beiseite und stellen mir mit hoch­geklapptem Mantelkragen theologische Fragen".
Den schwulen Mitchristen jedoch ist die MCC ein Dorn im Auge. Reinhard Schünemann von der ökumenischen Ar­beitsgruppe „Homosexuelle und Kir­che" (HuK) fragt: „Muss das sein?" Die HuK kämpft für Schwulenrechte in den großen Kirchen, und Schünemann fin­det es „grundsätzlich schade, wenn Brü­der und Schwestern von der Kirche die Schnauze voll haben und ihren eigenen Kram machen".
Auch Alexander Hottes, der Frank­furter MCC-Aktivist, hat die christliche Bruderliebe schon zu spüren bekom­men: „Normale Schwulengruppen be­grüßen unser Engagement, aber von der HuK und der Schwulen Katho­lischen Gemeinde gab's großen Wider­stand."
Jede MCC-Gemeinde ist autonom. Sie schickt lediglich einmal im Jahr ei­nen Plan an den Vorstand des europäi­schen Distrikts in England. Die Ham­burger Gruppe ist mittlerweile in die Klasse der privilegierten Gemeinden aufgestiegen: Sie muss nur noch alle fünf Jahre einen neuen Plan vorlegen. Dar­über hinaus findet keine Kontrolle der Rechtgläubigkeit statt.
Die MCC versteht sich als überkon­fessionelle Basisgemeinde. In den Lie­dern und der Liturgie legt sie großen Wert auf „inklusive Sprache", die Frau­en nicht semantisch diskriminiert. Das Gesangbuchlied „Ich steh' in meines Herren Hand" haben die Jungs umge­dichtet, es heißt jetzt „Ich steh' in mei­nes Gottes Hand". Und unter dem Glaubensbekenntnis steht als Fußnote, dass der Heilige Geist im Hebräischen „mach" heißt und weiblich ist.
Offiziell nennt sich die MCC „Kirche (nicht nur) für Lesben und Schwule". Doch der Zusatz in Klammern, die He­terosexuellen, sind faktisch eine winzige Minderheit. „Wir hatten lange eine Vorzeige-Hete", gesteht Friedhoff, „aber die ist ohne unser Zutun lesbisch gewor­den."


Hinnerk 1996

„Oh mein Gott, meine Freundin, Du begleitest mich auf meinem Weg." Vielstimmig klingt die Lied­zeile durch den hohen, mit Stuck verzierten Raum. Ein Tisch steht in der Mitte, liebevoll herge­richtet, jedoch etwas spartanisch geschmückt. Rings­um sind Stühle aufgestellt, die Gemeindemitglieder folgen der Zeremonie teils fröhlich, teils ernsthaft. Der Gottesdienst der Metropolitan Community Church scheint sich nicht von dem anderer Freikir­chen zu unterscheiden. Gut, ein Kruzifix ist nicht zu entdecken, aber selbst in bayerischen Klassenzim­mern ist ja mittlerweile konstruktiver Unterricht ohne den Wurzelsepp möglich. Nein, der Unterschied be­steht lediglich darin, dass es sich bei den Mitgliedern fast ausschließlich um Schwule und Lesben han­delt.
1968 wurde die MCC von einem schwulen Pa­stor gegründet, der aus seiner eigenen Kirche auf­grund seiner Homosexualität ausgeschlossen wor­den war. Seit 1988 gibt es auch einen Hamburger „Ableger". Die Idee der Gemeinschaft besteht darin, eine für alle Menschen offene Kirche anzubieten, die nicht diskriminiert, und die keinen Wert auf eine bestimmte sexuelle Orientierung legt. Für einige Mit­glieder ist es so der erste Umgang mit einer Kirche überhaupt, viele jedoch kehrten den etablierten und den freien Kirchen aus Enttäuschung den Rücken, oder wurden regelrecht herausgeworfen. Jürgen bei­spielsweise wurde von der Neuapostolischen Kirche seiner Ämter enthoben, damit er „seine Mitbrüder nicht mit seinem gottlosen Wesen verseuche". Die MCC erlaubt einen kirchlichen (Neu-)Anfang. „Hier ist es möglich, die eigene Energie ganz auf den Glau­ben, auf Gott und auf ein positives Miteinander zu konzentrieren" meint Thomas Friedhoff, der Pastor der Gemeinde. Jesus steht im Vordergrund, nicht der Kampf um Verständnis für die eigene Homose­xualität, keine Rechtfertigungsarien, und, Gott sei Dank, kein gütiger Zuspruch mehr, man werde das Problem mit etwas gutem Willen und gemeinsamen Gebet schon wieder in den Griff bekommen.
Die Position der Bibel zum Thema Homosexu­alität scheint eindeutig: „Macht Euch nichts vor! Men­schen, die mit Partnern aus dem eigenen Geschlecht verkehren.... werden nicht in Gottes neue Welt kom­men." (1.Kor. 6,9+10) Thomas sieht das etwas anders: Für ihn ist die Bibel nicht das Wort Gottes. Sie sei von Menschen geschrieben, die Gott sicher­lich nahestanden, die jedoch auch ihrem gesell­schaftlichen Umfeld verpflichtet waren. Bei der Inter­pretation müsse deshalb der geschichtliche Kontext berücksichtigt werden. Thomas geht sogar noch einen Schritt weiter: „Ich glaube, dass Homosexualität Gott-gewollt ist." Schwule und lesbische Beziehun­gen könnten etwa heterosexuelle Rollenklischees überwinden und andere Formen menschlichen Zu­sammenlebens aufzeigen.
Der Gott der MCC ist ein liebender Gott, der Gott des Evangeliums: „Durch Jesus Christus, unseren Herrn, hat Gott uns seine Liebe geschenkt. Darum gibt es in der ganzen Welt nichts, was uns jemals von Gottes Liebe trennen kann." (Rom 8,39) C'est ca! - Regeln und Vorschriften sind zweitrangig. Ob man schwul ist oder hetero, ob man monogam lebt oder in der Promiskuität seine Erfüllung findet, ist völlig egal. Und wenn sich Grenzen verwischen, was spielt es dann noch für eine Rolle, ob Gott männlich ist oder weiblich ist oder...

Hamburger Morgenpost 3.8.2009

Für die katholische Kirche ist Homosexualität Sünde, Ehe nur für Mann und Frau bestimmt, und in geistlichen Ämtern werden Homosexuelle nicht geduldet. Auch in vielen protestantischen Kirchen besteht die Auffassung, dass nur die heterosexuelle Ehe wirklich gottgewollt sei. Doch was tun, wenn man sich als Homosexueller trotzdem zur Kirche hingezogen fühlt?
Mark Terence Jones (40) aus St. Georg ist gläubiger Katholik und schwul. Seit seinem zehnten Lebensjahr wollte der gebürtige Nordrhein-Westfale Priester werden. Seinen Eltern zuliebe macht er zunächst eine kaufmännische Ausbildung, geht als 22-Jähriger in eine Schule für Priesteranwärter. In dieser Zeit lernt er seinen ersten Freund kennen und verlässt die Schule. "Da wir uns verliebt hatten, konnten wir ja nicht mehr Priester werden", so Jones. Doch der Glaube ist so stark, dass es ihn ein paar Jahre später in ein Männerkloster bei Regensburg zieht. Als er sich dem dortigen Generalpropst (Klostervorsteher) anvertraut, rät der ihm, das Kloster zu verlassen. "Ich war zwar enttäuscht, aber heute bin ich ihm dankbar. Ein Doppelleben wäre für mich nie in Frage gekommen."
Genauso wenig wie aus der Kirche auszutreten. "Es gibt doch in jeder Kirche Probleme. Und ich fühle mich sehr wohl in der katholischen Kirche, finde toll, wie sie sich engagiert. Außerdem lehnt sie mich nicht als Menschen ab, sondern mein Sexualleben. Und ich definiere mich ja nicht nur darüber." Dennoch würde er sich freuen, wenn der Papst ein Zeichen setzt: "Ich erwarte nicht, dass er sich morgen auf den Balkon stellt und ruft: ,Ihr Homosexuellen seid toll.` Aber ich erwarte, dass er mit uns in den Dialog tritt."
Eine Meinung, die auch der homosexuelle Protestant Felix Gedanke (20) aus Ohlsdorf teilt. Der Student verspürte bereits als Achtjähriger ein tiefes Gottvertrauen, betete jeden Abend. "Ich finde es überzogen, dass die Kirche es an zwei, drei Bibelstellen festmacht, dass Homosexuelle nichts in der Kirche verloren haben", sagt er. Er erinnert sich an Horst Gorski, einen Probst aus Altona, der sich im vergangenen Jahr zur Wahl zum Bischof für Schleswig und Holstein stellte. "Damals entbrannte eine absurde Diskussion darüber, ob ein Schwuler Bischof werden darf. Dabei sollte es doch vielmehr um seine theologischen Fähigkeiten gehen", findet Gedanke.
Auch Thomas Friedhoff (53), Pastor aus St. Georg, ist gläubig. Er studierte Theologie, engagierte sich jahrelang in einer evangelischen Freikirchen-Gemeinde. Doch als er kurz vor der Einsegnung zum freikirchlichen Pastor beichtet, dass er homosexuell ist, muss er kündigen.
"Danach wollte ich erst mal nichts mehr mit Kirche und Religion zu tun haben", erzählt er. 1985 gründet er schließlich eine Gruppe für Homosexuelle, aus der dann die Basisgemeinde der "Metropolitan Community Church" (MCC) wird. In ihrem christlichen Glaubensverständnis unterscheidet sich diese nicht von den etablierten Kirchen, aber Homosexuelle sind hier willkommen. Inzwischen fühlen sich etwa 100 bis 150 Menschen seiner Gemeinde zugehörig. Jeden Sonntag um 18 Uhr treffen sie sich in den Räumen am Steindamm in St. Georg zum Gottesdienst. Auch Partnerschaftssegnungen werden hier vorgenommen.
Und auch wenn Kritiker ihm vorwerfen, er würde sich mit einer eigenen Kirche für Schwule und Lesben aus der christlichen Gemeinde ausschließen, für Pastor Friedhoff steht fest: "Ausgrenzen wollte ich mich nie. Aber andererseits: Warum soll ich permanent für meine Identität kämpfen?"
- Mark Terence Jones (40), schwuler Katholik aus St. Georg: "Die Kirche lehnt mich nicht als Menschen ab, sondern mein Sexualleben."
- Schwuler Pastor
Thomas Friedhoff (53), Pastor aus St. Georg, gründete seine eigene Kirche, in der Homosexuelle gewollt sind: "Ich wollte mich nicht ausgrenzen, aber andererseits: ,Warum soll ich permanent für meine Identität kämpfen?`"
- Der schwule Protestant
Felix Gedanke (20) aus Ohlsdorf ist homosexueller Protestant: "Ich finde es überzogen, dass die Kirche es an zwei, drei Bibelstellen festmacht, dass Homosexuelle nichts in der Kirche verloren haben."

Die Nordelbische, September 2009

HAMBURG – Dort wo fröhliches Geplauder durch die angelehnte Tür ins Treppenhaus dringt, muss sie sein, die Metropolitan Community Church (MCC), die „Kirche (nicht nur) für Schwule und Lesben“, wie sich die Gemeinde in Hamburg nennt. Es ist Sonntagabend, kurz vor 18 Uhr – Gottesdienstzeit.
Etwas zögernd öffne ich die Tür. Einige Männer und Frauen haben es sich im Raum dahinter auf den Sofas bequem gemacht und blicken mich erwartungsfroh an, während ich vergeblich versuche, unter der versammelten Schar den Pastor auszumachen.
Da ich keinen Mann im Talar, dafür aber einen mit Kollar am Kragen erblicke – ein doch recht deutliches Zeichen für einen Geistlichen – begnüge ich mich vorerst mit dieser optischen Information und wende mich einem Mann zu, der sich mir mit dem Namen Eckard vorstellt. Dass er mir sofort das Du anbietet, während er mir das „Gesangbuch“ – eine Mappe mit durchnummerierten Kopien – reicht, erstaunt mich kaum. Denn bereits auf der MCC-Internetseite werde ich geduzt. „Schön, dass du vorbeischaust“, heißt es da. „Folge einfach dem kleinen lila Mönch (Anmerkung Webmaster: Das war die Version der Seite bis 21.12.10) (berühre ihn sanft mit deiner Maus) und du lernst uns Schritt für Schritt kennen.“
Einen lila Mönch gibt es zwar nur in der virtuellen Kirche, aber ziemlich bunt, genau genommen regenbogenbunt sind auch die Räume der MCC und die Menschen.
Vertrauensvoll setze ich mich neben Eckard in die zweite Stuhlreihe. Mit dem blauen Teppich verströmt der kleine Kirchenraum Wohnzimmeratmosphäre, die Kanzel erinnert ziemlich stark an einen Notenständer. Und beinahe fühle ich mich zurückversetzt in Zeiten urchristlicher Hausgemeinden. Zwar muss sich die 1988 gegründete Freikirche nicht wie die ersten Christengemeinden verstecken, aber von den etablierten Großkirchen wird de schwul-lesbische Sonderweg kritisch ablehnend beäugt.
Matthias stimmt am E-Piano das Eingangslied an: „Geh unter der Gnade“ – fröhlich schmettere ich das bekannte Lied mit, und der folgende Gottesdienstablauf mutet fast landeskirchlich konventionell an. Wären da nicht die kleinen feinen Unterschiede, die mich spüren lassen, dass hier eine junge ökumenische Basisgemeinde bestehende Konventionen durchbricht.
„Wie glauben an den einen Gott, Schöpferin aller Dinge. Den Gott der Liebe und der Gnade“, heißt es im Glaubensbekenntnis. Dass Gott im einen Moment grammatikalisch weiblich und im nächsten männlich ist, verwundert hier niemanden. Auch nicht, dass Jesus „mit seinen Freundinnen und Freunden“ zusammensaß in der Nacht, da er verraten ward. Die Anliegen feministischer Theologie sind bei dem Hamburger Ableger der 1968 in Los Angeles gegründeten Metropolitan Community Church ganz selbstverständliche Praxis geworden.
Wer jedoch aus einer katholischen Tradition stammt, dem dürfte das fast als Blasphemie erscheinen, dass ein Mann und eine Frau gleichzeitig das Abendmahl vorbereiten und die Einsetzungsworte im Wechsel sprechen.
Mir als junge Protestantin gefällt es jedoch. Und was mir noch besser gefällt, ist die gemeinsam gesprochene Absolution. Nicht der Pastor allein spricht die Vergebung der Sünden zu. Alle gemeinsam antworten auf das Schuldbekenntnis: „Gott vergebe dir, Christus erneuere dich und der Geist befähigt dich zum Wachstum in Liebe.“ – Das hat Macht denke ich. Und ich verlasse den Gottesdienst beschwingt und irgendwie auch ein bisschen neidisch auf diese kirchliche Gemeinschaft, die so freimütig verfestigte kirchliche Traditionen aufbricht.

E-Mail
Karte
Instagram